Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Sie konnte ihrer Haut ebenso wenig anhaben wie der rotglühende Nagel. Auch die Male mit dem Messer herauszuschneiden misslang. Das Ergebnis war eine Menge Blut und große Aufregung in der Familie. Doch egal, was Ferin auch versuchte, ihr Gesicht heilte jedes Mal innerhalb einer Nacht, zurück blieb nur die dumpfe Erinnerung an die Schmerzen. Sie lernte, ihr Gesicht zu hassen und Schmerzen zu ertragen.
Wie viele Nächte hatte sie sich in den Schlaf geweint, weil ihr Herz leblos und ihr Kopf voller Fragen war! Fragen, die niemand beantworten wollte. Aus Gründen, die sie nicht verstand. Sie lernte, ihre Fragen für sich zu behalten und ihr Herz zu vertrösten.
Wie viele Tage hatte sie darauf gewartet, dass ein neues Gesicht ihrem Leben endlich Sinn gab? Die Zeit wälzte sich unabänderlich langsam voran, ohne Höhen und Tiefen. Sie lernte, geduldig zu sein, doch die Unruhe pochte weiterhin in ihren Adern und machte die Tage zur Qual und die Nächte zur Erlösung. Einzig das Wissen, eines Tages frei zu sein, hatte sie ihre Gefangenschaft erdulden lassen.
Ihre Maskierung war der Wendepunkt, jetzt würde sie sich endlich selbst finden. Hoffentlich bald. Denn wer immer dieses Mädchen im Spiegel auch war – sie war es nicht.
Die Stimme der Mutter unterbrach ihre Gedankengänge: »Ferin! Kommst du?«
Ein letzter fragender Blick auf ihr Spiegelbild, dann schlüpfte Ferin durch die Tür nach draußen. Ihre Eltern und ihre Schwester warteten im Hof, fein gemacht für den Spaziergang. Für Estella und Hanneí war das nicht ungewöhnlich, es gehörte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, sich herauszuputzen, doch dass sich selbst ihr Vater in Schale geworfen hatte …
Najid steckte in seinem edelsten Anzug: sandfarbene Hosen und ein brauner Gehrock über dem weißen Leinenhemd. Das dunkelblonde Haar trug er heute exakt gescheitelt, und ausnahmsweise war er sogar rasiert. Er fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Montur, und Ferin war überzeugt, dass er den Tag lieber in seiner Werkstatt verbracht hätte.
Als Spiegelmacher übte Najid einen sehr angesehenen Beruf aus. In der Welt der Merdhuger hatten Spiegel einen hohen Stellenwert, Schönheit wollte betrachtet, verglichen und verbessert werden. Die Geschäfte gingen gut, der Vater konnte sich nicht beklagen. Hier in Laigdan, der Hauptstadt des Reiches Merdhug, sorgte vor allem das Königshaus dafür, dass die Kasse stets voll war und die Arbeit nicht ausging. Das ermöglichte der Familie ein sorgenfreies Leben.
»Du meine Güte!« Hanneí unterstrich ihre Begrüßung mit einer theatralischen Geste. »Das kann nicht dein Ernst sein. In solch einer Garderobe willst du hinaus? An deinem Ehrentag?«
Unsicher blickte Ferin an sich hinab. Sie hatte sich für ein weißes Leinenkleid aus Hanneís Schrank entschieden. Ihre Schwester hatte darauf bestanden, ihr eines ihrer Stücke zur Verfügung zu stellen, denn Ferin besaß nur die verhassten grauen Kittel, von denen einer aussah wie der andere: abgetragen, unförmig und deklassierend.
»Ich dachte«, murmelte sie, »solange mein Haar noch unter …« Sie brach ab. Eigentlich wusste sie nicht genau, was sie sich dabei gedacht hatte. Ja, das Kleid war schlicht, doch es ergänzte das Tuch auf ihrem Kopf. Es hatte die richtige Größe, war hochgeschlossen und unter der Brust gerafft, es legte sich weich und fließend um ihren Körper. Sie fühlte sich wohl darin.
»Nichts da. Du bist maskiert, jetzt ist Schluss mit dem langweiligen Aufzug. Sieh mich an – so kleidet man sich standesgemäß.« Hanneí machte einen gezierten Knicks, als hätte der König persönlich sie zum Tanz gebeten.
Ferin musste zugeben, dass die Schwester sehr hübsch anzusehen war. Ihre Wangen waren gerötet, das goldblonde Haar hatte die Mutter mit Nadeln hochgesteckt, nur einzelne Locken fielen auf ihre Schultern herab. Das Kleid war ein bombastischer Sinnesrausch aus gelb-orange gemustertem Seidenbrokat. Jede Hofdame wäre vor Neid erblasst.
»Meinst du nicht auch, Mama?«, wandte sich Hanneí an Estella.
»Allerdings.« Die Mutter, in ähnlich kostbaren Stoff gehüllt, nickte lächelnd. »Wir sollten schleunigst den Schneider aufsuchen. Ferin braucht dringend neue Kleider.«
»O ja!« Hanneí klatschte begeistert in die Hände. »Ashak hat wunderschöne Stoffe. Da finden wir bestimmt etwas Passendes für sie.«
»Gewiss. Doch auch bei Tobard sollten wir vorbeischauen.«
»Tobard ist doch so konservativ. Da hat seit Jahren kein frisches
Weitere Kostenlose Bücher