Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Lüftchen mehr geweht.«
»Konservativ ist das falsche Wort, mein Kind. Traditionell finde ich angebrachter.«
An diesem Punkt schaltete Ferins Denken ab. Sie warf dem Vater noch einen hilfesuchenden Blick zu, den dieser mit ebensolcher Miene beantwortete, dann senkte sie den Kopf und ließ Mutter und Schwester ihr Fachgespräch führen.
Es hatte sich nichts geändert. Immer noch behandelten sie Ferin, als wäre sie gar nicht vorhanden. Zugegeben, das war ihre eigene Schuld. Mit zunehmendem Alter hatte sie sich vom Familienleben distanziert und weder mit Hanneí noch mit den Eltern Zeit verbracht. Von der Schönheit ihrer maskierten Gesichter umgeben, war ihre Eifersucht mit jedem Tag angewachsen und hatte andere Gefühle regelrecht erstickt. Ferin hatte Linderung in der Einsamkeit gesucht – der einzig mögliche Weg, damit umzugehen.
»Hör nicht auf sie, du bist wunderschön, Ferin«, beendete Najid das Geplapper der beiden Frauen. Aber obwohl es nichts dagegen zu sagen gab, hörten sich die Worte des Vaters falsch an. Unpassend. Als hätte er sich geirrt.
»Danke.« Ferin starrte weiter zu Boden, diesmal aus Verlegenheit.
Estella griff ihr unter das Kinn. »Das musst du nicht mehr. Hebe den Kopf, mein Kind, du bist nun eine Merdhugerin, das musst du auch zeigen.«
»Ich weiß. Es ist nur so ungewohnt.«
»Aber nein. Das bildest du dir ein. Vertraue auf die Maske, sie wird dir den Weg weisen.«
Ferin verstand nicht, was damit gemeint war, doch es hatte vermutlich keinen Sinn nachzufragen. Estella würde wie immer keine genauere Erklärung abgeben.
»Was möchtest du zuerst sehen?«, fragte Najid.
Da musste sie nicht groß nachdenken. »Die Bibliothek.«
»Ach nein«, murrte Hanneí. »Muss das sein?«
»Hanneí!« Najid blickte seine ältere Tochter mahnend an. »Es ist Ferins Tag. Heute darf sie wählen. Vergiss nicht, sie hat so lange darauf gewartet.«
»Na schön.« Hanneí verdrehte die Augen. »Aber danach gehen wir in den Pjandar«, meinte sie hoffnungsvoll. »Heute ist doch das Fest, sogar der König soll kommen.«
Der Pjandar war ein künstlich angelegter Garten – der einzige inmitten der kargen Berglandschaft –, der die seltensten Pflanzen beheimatete und in dem man sich hauptsächlich traf, um zu sehen und gesehen zu werden. Es war ein guter Platz, Herrenbekanntschaften zu schließen, und das war auch der Grund, warum es Hanneí dorthin zog. Seit einigen Jahren schon war sie auf der Suche nach einem geeigneten Bräutigam, doch der Richtige hatte sich noch nicht finden lassen, was vor allem daran lag, dass Hanneí sehr wählerisch war; keiner war ihr gut genug.
»Für den Pjandar bleibt genügend Zeit«, beschwichtigte Estella, »viel wichtiger erscheint es mir, den Schneider …«
»Später, Estella«, warf Najid ein, »Ferin möchte in die Bibliothek.«
Seufzend gab die Mutter nach.
Sie verließen den Innenhof durch das hölzerne Tor. Ferin musste sich direkt zwingen, nicht in gewohnter Manier den Kopf zu senken und die Arme vor den Körper zu schlagen. Vorbei war es mit den Verordnungen der Konvention, ein für alle Mal. Endlich frei!, dachte sie und betastete ihre Nase – ja, immer noch weiche Haut.
Es war ein ruhiger Morgen. Die Straßen waren wie leer gefegt, alle schienen beim Fest im Pjandar zu sein. Nach der Nacht war die Luft noch angenehm kühl, doch die Sonne am wolkenlosen Himmel kündigte einen heißen Tag an, an dem wohl nur die leichte Brise, die durch die Gassen strich, für Abkühlung sorgen würde.
Laigdan lag am Fuße eines Bergmassivs und galt als schönste Stadt des Landes. Diese Bezeichnung verdiente sie zu Recht, fand Ferin. Sie war zwar noch nie über die Stadtmauer hinausgekommen, ja, in Wahrheit waren ihr auch nur einige Gassen und Plätze bekannt, doch sie konnte sich keinen besseren Ort zum Leben vorstellen.
Perlweißes Mauerwerk, wohin man blickte. Breite Straßen, gepflastert mit ebenso weißen rechteckigen Klinkern, in beeindruckender Kunstfertigkeit aneinandergereiht, nicht ein Stein schief, nicht eine Fuge nachlässig gefüllt. Die niedrigen Häuser, alle mit rotbraunen Ziegeln gedeckt, schmiegten sich neben- und übereinander in die schroffen Felswände des Roten Gebirges, als suchten sie Schutz vor Wind und Wetter oder möglichen Angriffen von Feinden.
Das rötliche Gestein der Berge bildete einen warmen Kontrast zu den Häusern und Straßen. Fast hätte sich das Auge in diesem Meer an Weiß und Rot verlieren können, wäre da nicht das
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