Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Lesestoff, vor allem, weil sie sich dadurch Antworten auf ihre vielen Fragen erhoffte.
»Sie hatte häuslichen Unterricht«, erklärte Estella mit erhobenen Brauen. »Sie kann auch schreiben.«
Ferin fühlte sich angepriesen wie eine Ware und senkte schnell den Kopf, bevor man ihr anmerkte, wie peinlich ihr die Situation war.
»Das ist höchst erfreulich«, sagte der Bibliothekar. Er ließ sich den Namen und den genauen Wohnort nennen und trug beides in ein dickes Buch ein. »Möchtest du denn heute gleich hierbleiben, Ferin?«
Und ob sie das wollte!
Estella und Hanneí zeigten sich verstimmt, willigten aber in Najids Vorschlag ein, inzwischen allein das Fest im Pjandar zu besuchen. Er und Ferin würden später nachkommen.
»Danke«, flüsterte Ferin und schickte ihrem Vater ein seliges Lachen.
Najid nickte und kramte in seiner Hosentasche. »Zwei Dabore, bitte sehr.« Er legte die Münzen auf das Pult. »Meine Tochter wird mir etwas vorlesen.«
Der Bibliothekar ließ das Geld in seiner Kasse verschwinden. »Fein«, sagte er zufrieden. »Dann werde ich dir jetzt einmal zeigen, was es alles zu lesen gibt, Ferin.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis er ihr erklärt hatte, welche Bücher sie selbst aus den Regalen nehmen durfte und bei welchen sie ihn um Hilfe bitten musste. Beeindruckt schritt Ferin mit ihm ein Regal nach dem anderen ab und konnte ihr Glück kaum fassen. Hier eröffnete sich ihr eine neue Welt. Nach all den Jahren der Entbehrungen war dies – neben ihrem schönen Gesicht – ihr größter Schatz.
Auch der Vater fand zusehends Gefallen am Rundgang durch die Welt der Bücher. Er verwickelte den Bibliothekar in ein Gespräch über die Stuckdecken im Krönungssaal und fragte, ob es denn eventuell Skizzen davon gebe. Ferin musste schmunzeln. Was konnte den Vater auch sonst interessieren als die Arbeit.
Sie schlenderte weiter, die Augen auf die endlosen Reihen von Büchern und Folianten gerichtet. Ein schmales Büchlein erregte ihre Aufmerksamkeit, weil es mit seinem braunen Ledereinband gar so unscheinbar zwischen all den Wälzern wirkte. Sie streckte sich, stellte sich auf die Zehenspitzen, konnte es aber nicht erreichen. Da schob sich eine Hand über ihre und zog das Buch heraus. Überrascht trat Ferin einen Schritt zurück und stieß gegen den jungen Mann, der eben noch am Pult hinter ihr gelesen hatte. Mit einem anklagenden Klatschen landete das Buch auf dem Boden, und sie gingen beide in die Hocke, um es aufzuheben.
»Verzeihung«, murmelte Ferin. Ihre Finger trafen die seinen, und ein Prickeln fuhr ihr unter die Haut. Sie zuckte zurück und blickte in sein Gesicht.
Der Mann starrte sie an, und für einen Lidschlag meinte sie, ihn zu kennen. Die dunklen, fast schwarzen Augen, die unverwandt auf sie gerichtet waren, die geschwungenen Lippen mit dem Anflug eines Lächelns. Worte wollten sich auf ihrer Zunge bilden, und unwillkürlich hob sie die Hand hoch zu seiner Wange. Ließ sie ebenso schnell wieder fallen. Weg war die Erinnerung, vor ihr kauerte ein Fremder. Ein Merdhuger. Beschämt senkte sie den Kopf. Sie durfte ja nicht … Oh! Sie durfte! Sie sah auf und begegnete seinem ungläubigen Blick. Mit einer fließenden Handbewegung strich er über ihr Tuch, ihre Nase, ihr Kinn – sachte wie ein Luftzug. Dann schoss er in die Höhe und rannte aus dem Saal.
Ferin konnte seine Schritte noch hören, als sie längst verklungen waren. Ihr Gesicht glühte, und ihr Herz wollte einfach nicht zur Ruhe kommen. Sie langte nach dem Buch, schlug es auf; die Buchstaben tanzten vor ihren Augen, nicht einmal den Titel konnte sie entziffern. Wer war dieser Mann? Was hatte er von ihr gewollt? Er hatte sie berührt, einfach so. Und sie … sie hatte das Gleiche bei ihm tun wollen.
Nur mit Mühe kam Ferin auf die Beine. Kurzerhand steckte sie das Buch irgendwo ins Regal, lehnte sich an die Mauer und atmete durch. Was hatte den Fremden so fasziniert? Die Maske? War ihr neues Gesicht so interessant? Sie musste lächeln. Sie sollte sich besser daran gewöhnen, denn in Zukunft würden noch viele Männer ihren Weg kreuzen. Und vielleicht würde der eine oder andere ihr Gesicht berühren dürfen.
Auf dem Pult lag die Schriftrolle, die der Fremde studiert hatte. Ferin beugte sich gerade darüber, als der Bibliothekar den Pergamentbogen auch schon zusammenraffte.
»Diese Leute«, grummelte er. »Ständig lassen sie alles liegen.« Er rollte das Papier akribisch auf und steckte es in einen Glasbehälter. »So.
Weitere Kostenlose Bücher