Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
Was darf ich dir denn nun zum Lesen geben?«
Ferin überlegte. Ihre Frage von vorhin fiel ihr wieder ein. Wenn die Eltern auch nichts Genaueres über die Konvention wussten, die Bücher wussten bestimmt alles. Hier würde sie ihre Antworten bekommen.
»Etwas über die Konvention, bitte. Ich möchte alles darüber erfahren. Wie ist sie entstanden und aus welchem Grund? Wer hat sie erfunden? Wie lange gibt es sie bereits?«
Der Bibliothekar schnitt ein Gesicht, als hätte sie ihm den Todesstoß versetzt. »Hm, also … damit kann ich nicht dienen. Leider.«
Ferin begriff sein Befremden nicht. Sie hatte ja schließlich nicht nach den königlichen Schatzbüchern verlangt. »Und weshalb nicht?«
»Das ist doch gar nicht das Richtige für dich, junges Fräulein.« Der Bibliothekar bedachte Najid, der hinzugetreten war, mit einem nervösen Lächeln. »Ich bin erstaunt über dein Anliegen.« Er wirkte keineswegs erstaunt, sondern in höchstem Maße beunruhigt. Beinahe alarmiert.
»Ferin.« Der Vater fasste nach ihrer Hand. »Wir sollten besser gehen. Komm.«
»Aber warum denn? Wir sind doch gerade erst …«
»Komm jetzt!« Najid nickte dem Bibliothekar zu und zog Ferin hinter sich her.
Widerstrebend ging sie mit, das Chaos in ihrem Kopf wollte sich nicht mehr sortieren lassen. Was war denn so abwegig an ihrem Wunsch? Warum schleppte der Vater sie ohne eine Erklärung aus dem Saal? Sie hatten bezahlt. Sie wollte lesen, sie wollte Informationen, Antworten. Wie lange sollte sie noch darauf warten?
»Ich wollte doch nur …«, murmelte sie, als sie durch die Tür traten.
»Still!«, herrschte Najid sie ganz unerwartet an. »Ich will kein Wort mehr hören.«
Ferin klappte den Mund zu und schürzte die Lippen. Am liebsten hätte sie die Füße in den Boden gestemmt und sich nicht von der Stelle gerührt, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass es besser war, den Vater nicht zu provozieren.
Najid eilte die Straße hinunter in Richtung Pjandar. Immer noch hielt er Ferins Hand, als wäre sie eine Dreijährige, der man nicht zutrauen konnte, ihren Weg allein zu finden. Ferin musste fast laufen, um mit ihm mithalten zu können. Ihre fragenden Blicke erwiderte er nicht, und so rätselte sie weiter darüber nach, was sie falsch gemacht haben könnte.
Kurz vor der Stadtmauer bog der Vater ohne Vorwarnung in eine der engen Seitengassen ab. Hastig schaute er sich um, dann drängte er Ferin in einen Hauseingang.
Die braune Farbe blätterte von der Tür, darunter war das Holz morsch und brüchig. Von der Hausmauer bröckelte Verputz. Es roch muffig, nach Feuchtigkeit und Fäulnis. Es roch nach Armut. Hier lebten Pheytaner, eindeutig. Ferin kam es vor, als blickte sie hinter eine Fassade, von der Schönheit der Stadt war in dieser Gasse nichts zu bemerken.
Najid war um einiges größer als sie und musste sich zu ihr herunterbeugen. Sein Mund war verkniffen, seine Augen irrten hektisch umher, bis er endlich heftig ausatmete und sich auf sie konzentrierte.
»Ferin«, sagte er leise, aber mit eindringlicher Stimme. »Hör mir gut zu: Du darfst niemals mehr – hörst du! –, niemals vor anderen Leuten so sprechen. Es ist gefährlich.«
»Gefährlich?«, fragte Ferin. »Was meinst du damit?«
»Wenn jemand erfährt, dass du solche Fragen stellst … Du bist jetzt eine Merdhugerin. Die Konvention hat dich nicht zu interessieren.«
»Sie interessiert mich aber!«
»Scht.« Najid blickte sich erneut um. Sie waren nach wie vor allein. »Das ist ja das Problem.«
»Wieso ist das ein Problem?«, flüsterte sie.
»Wir haben das heute schon besprochen. Die Maske …« Er seufzte. »Also schön. Ich werde es dir erklären. Die Maske überzieht das Gesicht ihres Trägers nicht bloß mit samtener Haut. Sie hat obendrein die Eigenheit, alles Gewesene auszulöschen, die Erinnerungen an dein Leben davor, all die Fragen. Die Maske lässt uns vergessen, und dich auch, eigentlich.«
Ferin schnappte nach Luft. Vergessen. Sie sollte vergessen. Ein unsteter Gedanke sprang durch ihren Geist, einer, der ihr zuflüsterte, dass hier ein Fehler vorlag. Ein ganz kleiner, unbedeutender Fehler. Das Flüstern erstarb, als Najid weitersprach.
»Du bist frisch maskiert, da grübelt man nicht über die Konvention nach. Nichts sollte dein Denken beherrschen als die Freude über die Freiheit. Und zwar automatisch, ohne dein Zutun. In dir sollte Glück wohnen, nicht Zweifel.«
Ferin schlug die Augen nieder. Anscheinend stimmte tatsächlich etwas nicht
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