Maskenball
geisteskranker Mörder.«
Krüger lachte. »Nein, Frank, Sie können mich nicht treffen mit Ihren Behauptungen. Sie wissen, dass sie falsch sind. Ich habe nur getan, was ich tun musste. Ich habe gesühnt. Und dafür werde ich meinen Frieden finden. Das war es mir wert.« Er zögerte einen Augenblick und überlegte. Dann sprach er mit fester Stimme weiter. »Bei Breuer habe ich für einen Moment die Fassung verloren. Das gebe ich zu. Aber können Sie sich das Gefühl vorstellen? Wie es ist, wenn Sie voller Blut eines anderen Menschen sind? Das ist wie ein Rausch. Ein Rausch voller, ja, Erotik und, ja, Sinnlichkeit.« Er seufzte. »Ich gebe es zu, ich bin für einen Augenblick zu weit gegangen. Aber was macht das in Ihren Augen noch für einen Unterschied? Nach allem, was Sie gesehen haben. In Ihren Augen bin ich eine Bestie, die Ihre harte Bestrafung verdient. Aber wissen Sie was? Ich habe mich schon selbst bestraft. Mit meiner Untätigkeit. Vor vielen Jahren, damals im Herbst ’44. An dem völlig unbedeutenden und nutzlosen Frontabschnitt in Breyell.«
»Krüger, Sie werden für die Morde zur Rechenschaft gezogen.«
Heinrich Krüger lachte kurz auf. »Was heißt das schon? Wissen Sie, was wirklich wichtig ist? Die Geschichte. Immer wenn ich in die Gesichter meiner Generation sehe, diese alten und faltigen Gesichter, die längst ohne Freude und ohne Hoffnung sind, muss ich denken: Ich habe kein Mitleid mit ihnen, weil sie am Ende ihres Lebens stehen und bald sterben müssen. Denn sie hätten im Wäldchen damals dabei sein können! Wer weiß, welche Schuld sie auf sich geladen haben.«
»Aber Sie haben getötet, Sie haben sich schuldig gemacht. So schuldig wie Ihre Opfer. Wenn man bei ihnen überhaupt von Schuld sprechen kann. Schließlich war Krieg.«
»Aber ich habe nur Mörder zur Strecke gebracht. Ja, sie waren Mörder, weil sie den Tod von Friedrich nicht verhindert haben. Können Sie das denn nicht verstehen?«
»Aber es macht keinen Unterschied. Bei Mord gibt es keine Moral. Es gibt keinen Unterschied zwischen Ihnen und Lehnert.«
»Sehen Sie, Herr Kommissar, es ist Zeit zu gehen, die Blätter fallen.«
Heinrich Krüger hob die Waffe.
In diesem Augenblick wurde er von hinten geschubst und stolperte nach vorne. Durch die abrupte Bewegung ließ er die Pistole fallen, die auf den Steinplatten scheppernd zur Seite schlidderte.
Das war für Frank das Zeichen, einzugreifen. Er stürzte in Richtung Krüger und Viola. Aber mitten in der Bewegung hielt er inne.
»Oh, Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht umlaufen. Dürfte ich bitte an Ihnen vorbei? Ich habe es sehr eilig. Guten Tag.« Die alte Dame fasste ihren Regenschirm fester und marschierte einfach an dem verdutzten Krüger vorbei, der nur mit viel Mühe seinen Sturz hatte abfangen können. Viola Kaumanns nutzte die Gelegenheit und bückte sich nach der Waffe.
»Es ist vorbei. Kommen Sie.« Verwirrt und erleichtert zugleich betrachtete die Kommissarin die alte Frau, die so plötzlich hinter ihnen aufgetaucht war. Die vergnügt dreinblickende Seniorin trug einen offenen und schon längst unmodernen Wintermantel und einen alten Hut, den sie keck schräg auf ihren Kopf gesetzt hatte. Unter dem Mantel trug sie nicht mehr als ein ausgeblichenes helles Nachthemd. Ihre dünnen, nackten und faltigen Beine steckten in ausgetretenen Hausschuhen.
»Hallo, Kindchen. Sind Sie das Taxi? Ich habe schon auf Sie gewartet. Können Sie mich bitte ins Theater fahren? Ich habe Karten für Fidelio. Wir müssen uns beeilen. Sie sind heute aber spät dran. Kommen Sie und bringen Sie mich zu Ihrem Wagen.« Ohne weiter auf Krüger oder die Pistole in der Hand der Polizeibeamtin zu achten, wollte die alte Frau sich bei Viola unterhaken.
»Das, das geht jetzt nicht, äh … , einen Moment noch.« Viola Kaumanns wich einen Schritt zurück. Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte. Etwas unschlüssig wechselte sie die Pistole von der einen in die andere Hand und hielt dabei Krüger weiter in Schach. Mit großen Augen sah sie hilflos von Ecki zu Frank und dann weiter zu Schrievers, die jetzt neben ihr standen. Unvermittelt änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Mit gequältem Blick drückte sie Frank die Waffe in die Hand und verschwand wortlos und hastig im Klinikeingang.
Frank blickte erstaunt auf die alte Wehrmachtspistole in seiner Hand und sah Viola irritiert hinterher. Der Griff der Waffe war warm. Er hätte Viola jetzt gerne in den Arm genommen.
Bevor einer der drei
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