Maskenball
wissen, ob Hiltrud Claassens Bruder schon mal in Boisheim zu Besuch gewesen war.
Ärgerlich setzte sich Frank in den Mondeo und wendete. Er war schon fast am Ende der Straße angekommen, als er sie kommen sah. Hiltrud Claassen trug in jeder Hand eine große Einkaufstasche. Sie mussten schwer sein, denn Hiltrud Claassen ging langsam und gebeugt. Von Weitem sah sie aus wie eine jener schwarz gekleideten Witwen, die mit ihrem Mann auch ihren ganzen Lebensmut und jegliche Aufgabe und Perspektive auf die Zukunft verloren hatten. Als er sich ihr näherte, meinte er zu sehen, dass ihre Haare noch grauer geworden waren.
Frank hielt neben ihr und stieg aus.
Als Hiltrud Claassen ihn sah, erschrak sie. Mit einer matten Bewegung setzte sie die Taschen auf den Bürgersteig. »Was wollen Sie von mir? Ich habe immer noch nichts von meinem Bruder gehört. Warum können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?« Sie sah unstet an Frank vorbei Richtung Hauseingang.
»Ich kann Sie beruhigen. Ich bin diesmal nicht wegen Ihres Bruders gekommen. Oder haben Sie mir nicht vielleicht doch etwas mitzuteilen?« Frank konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.
»Was wollen Sie dann von mir?« Ihre Unruhe schien größer zu werden.
»Ich würde mir gerne mit Ihnen die Fotos ansehen, die gestern bei Ihnen auf dem Tisch gelegen haben.«
»Welche Fotos?« Hiltrud Claassen schien nicht zu verstehen.
»Die Fotografien ihres Vaters, die auf dem Wohnzimmertisch.«
»Wozu soll das gut sein? Was haben die Bilder mit meinem Bruder zu tun? Ihn werden Sie dort nicht entdecken.«
Frank überhörte ihren Sarkasmus. »Es geht mir im Augenblick wirklich nicht um Ihren Bruder, Frau Claassen. Können Sie sie mir bitte zeigen?«
»Hier auf der Straße? Ich habe sie nicht bei mir.«
»Wenn ich noch einmal zu Ihnen ins Haus dürfte? Soll ich Ihnen tragen helfen?« Frank wollte nach den Einkaufstaschen greifen.
»Lassen Sie mich. Ich komme auch ohne Ihre Hilfe zurecht. Fahren Sie nur schon vor, wenn es denn unbedingt sein muss. Aber ich sage es Ihnen gleich, ich habe nur wenig Zeit.«
»Ist schon recht, Frau Claassen. Es ist auch nur für ein paar Minuten.«
»Dann fahren Sie vor, in Gottes Namen. Ich komme schon nach.«
Fünf Minuten später saß Frank wieder dort, wo er nur wenige Stunden zuvor schon einmal gesessen hatte. Nur bekam er diesmal keinen Kaffee und kein Gebäck angeboten. Hiltrud Claassen war mehrere Minuten im Obergeschoss verschwunden. Um die Fotos zu holen, wie sie sagte.
Frank horchte auf Geräusche, aber im Haus war es still. Wenn ihr Bruder bei ihr war, hielt er sich gut versteckt.
»Hier,« Hiltrud Claassen hielt ihm einen Packen Fotos hin. »das sind die, die hier lagen. Was wollen Sie damit? Viel kann ich Ihnen nicht dazu sagen. Ich habe sie selbst erst vor ein paar Tagen gefunden.«
Frank blätterte durch die Fotos, bis er das Bild gefunden hatte. Ja, es war die gleiche Fotografie, mit den gleichen Personen, vor dem gleichen Hintergrund. Nur, dass die Aufnahme etwas vergilbter war als Krügers Aufnahme. Außerdem war sie an den Ecken schon deutlich abgestoßen. Ein Knick ging zudem quer über das ganze Foto.
»Kennen Sie diese Aufnahme?« Frank hielt Hiltrud Claassen das Foto hin.
Langsam nahm sie ihm das Bild aus der Hand, betrachtete es kurz und gab es ihm wieder zurück. »Ich sagte Ihnen ja bereits, ja, nein, ich kenne die Aufnahme nicht. Die habe ich erst vor ein paar Tagen im Schrank meines Vaters gefunden.«
»Sehen Sie sich das Bild noch einmal genau an. Erkennen Sie jemanden auf der Fotografie?«
Hiltrud Claassen stand mit verschränkten Armen vor ihm. »Meinen Vater erkenne ich, natürlich. Hier rechts. Da war er noch ein junger Soldat.«
Frank sah in das offene Gesicht des jungen blonden Soldaten, der zu einer Heeresabteilung gehört hatte, soweit Frank das beurteilen konnte. Hans-Georg Verhoeven hatte einen aufgenähten Winkel auf seinem Oberarm. Er war damals Gefreiter gewesen. »Wen erkennen Sie noch auf dem Foto?«
»Niemanden. Ich kenne mich nicht aus mit solchen Sachen. Die anderen Gesichter sagen mir nichts.«
»Hat Ihr Vater nie etwas oder jemanden erwähnt?« Frank hielt ihr wieder das Foto hin.
»Er hat fast nie über den Krieg gesprochen. Nur das Übliche. Dass er froh war, heil aus der Sache, wie er sagte, herausgekommen zu sein.« Hiltrud Claassen machte keine Anstalten, das Bild wieder in die Hand zu nehmen. »Ich weiß nicht viel über sein Leben als Soldat. Über die Nazizeit überhaupt.
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