Maskenball
Thürlings, auch nicht als Richter über Ihren Vater. Ich habe drei Morde aufzuklären und einen weiteren zu verhindern. Mir geht es nur darum, den Mörder von Verhoeven, Breuer und Hecker zu fassen, und den Täter, der auf seine Weise verantwortlich ist für den Tod Ihres Vaters. Und ich möchte einen weiteren Mord verhindern.«
»Sie meinen, es könnte noch ein Mord passieren?«
»Denken Sie an Heinrich Krüger. Er ist der letzte Überlebende, der noch auf der Liste steht.« Dass er Herbert Verhoeven für den Mörder hielt, wollte Frank lieber verschweigen.
»Nun, also. Es muss so gegen Ende des Krieges gewesen sein. Gar nicht weit weg von hier. Ich meine, an der Bahnstrecke nach Venlo. Mein Vater und die anderen hatten Dienst dort. Sie sollten die Bahnübergänge gegen die anrückenden alliierten Verbände verteidigen. Dabei waren sie ja fast noch Kinder. Wie kann man solch junge Menschen in den Krieg schicken, wo doch sowieso alles schon verloren war?«
Frank sagte nichts.
»Jedenfalls waren die Sieben zu der Zeit eine verschworene Gemeinschaft, durch die Not zusammengeschweißt. Sie haben in ihren Schützenlöchern gesessen, hatten Angst, erzählte mein Vater, und konnten nicht nach Hause. Obwohl sie doch alle in der Nähe wohnten. Aber das wäre Fahnenflucht gewesen, einfach die Einheit verlassen und zu den Eltern zurückzugehen. Ich weiß, dass meine Oma, obwohl das streng verboten war, ›ihre Jungs‹, wie sie immer gesagt hat, ein paar Mal besucht hat in ihrer Stellung und ihnen bei den Gelegenheiten immer etwas zu Essen zugesteckt hat. Die Verpflegung war wohl nicht die beste, damals.« Marlene Thürlings hielt inne, um einen Schluck zu trinken.
Frank hatte den Eindruck, dass es ihr Mühe bereitete, zum eigentlichen Thema zu kommen. Er wollte ihr Mut machen. »Lassen Sie sich Zeit.«
»Nein, es geht schon. Ich schäme mich für das, was ich Ihnen jetzt erzähle.« Marlene Thürlings holte tief Luft. »Die Sieben haben sich in den ersten Tagen wie richtige Soldaten verhalten. Nachdem sie von ihrem Einheitsführer eingewiesen worden waren, haben sie ihre Stellungen ausgehoben und bezogen. Regelmäßig wurden sie abgelöst und in ein Quartier bei Süchteln gebracht. Aber mit dem immer gleichen Tagesablauf und der wachsenden Ungewissheit kamen zunehmend Spannungen auf zwischen den sieben Kameraden. Soweit ich das behalten habe. Die Angst vor den heranrückenden Truppen der Engländer und Amerikaner wurde immer größer, damit auch die Sorge um das eigene Schicksal. Bald wurden sie zu den unterschiedlichsten Zeiten abgelöst. Die Verpflegung, wie gesagt, war oft schlecht. Sie haben sich verlassen und verloren gefühlt. Sie müssen sich das vorstellen, ihr Zuhause war greifbar nah, sie konnten die Kirchtürme sehen, und doch waren ihre Familien unendlich weit weg. Einige der Sieben hatten den Glauben an eine Wendung des Krieges längst verloren, die anderen wurden umso fanatischer, je länger ihr Einsatz dauerte. Besonders einer von ihnen entwickelte sich mehr und mehr zum Anführer. Hans Lehnert. Er wiegelte seine Kameraden vor allem gegen Friedrich Flusen auf. Er war der Kleinste und Ängstlichste von allen und hatte wohl schon mehrfach angedeutet, er wolle am liebsten zurück zu seinen Eltern. Sie wohnten nicht weit weg, in Born. Von Lehnert wurde er daraufhin ständig gehänselt, als Memme bezeichnet, als Schande für den Führer und das deutsche Volk. Mein Vater hat erzählt, dass Lehnert Friedrich Flusen immer härter drangsaliert hat.«
Marlene Thürlings drehte beim Erzählen ihren Kaffeebecher nervös hin und her. Sie schien weit weg mit ihren Gedanken. Frank hatte den Eindruck, sie war wieder das kleine Mädchen, das den Erzählungen ihres Vaters halb neugierig und halb entsetzt zuhörte.
»Der arme Kerl musste sämtliche niederen Arbeiten erledigen. Soweit ist alles gut gegangen, hat mein Vater erzählt. Bis dann, eines Tages, Friedrich Flusen schreiend aus seinem Schützenloch aufgesprungen und weggelaufen sei. Lehnert hatte ihm gerade befohlen, die Nacht alleine in der Stellung Wache zu halten. Er ist ihm sofort hinterher und hat ihn zurückgebracht, mit vorgehaltener Pistole. Mein Vater ist sich sicher gewesen, dass Lehnert nur auf so eine Situation gewartet hatte, in der Friedrich Flusen ausrastet. Fahnenflucht hat er Flusens Stressreaktion genannt und ihn als ›festgenommen‹ bezeichnet.« Marlene Thürlings hatte jetzt Tränen in den Augen. »Das Schlimmste für meinen Vater war, auch
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