Mata Hari
Tänzerin durchaus schlackenfrei, sehr zurückhaltend, sehr züchtig, denn was sie schreibt, ist vielmehr für einen Vater als für die Öffentlichkeit bestimmt.
Wenn ihre Seele, was wohl selbstverständlich ist, berauscht war von Freude über ihre ersten Triumphe in völliger Unabhängigkeit, fern dem ehelichen Zwist, den verletzenden Demütigungen von Seiten der Familie und nicht zuletzt fern dem üblen Klatsch der holländischen Gesellschaft, so ist davon doch so gut wie gar nichts in ihren Pariser Erinnerungen zu spüren. Zweierlei beschäftigt sie einzig und allein: ihre Zukunft und ihr Gatte, dessen Schatten fortfährt, ahnungsvoll auf ihrem Leben zu ruhen. Überall glaubt sie, ihn auftauchen zu sehen, um seine Rechte geltend zu machen, denn die Scheidung war vom Gericht in Amsterdam noch nicht ausgesprochen worden. Die tugendsamen Richter, voll heiliger Ehrfurcht vor der üblichen sozialen Disziplin, glaubten, ein höherer adeliger Kavallerieoffizier habe durchaus das Recht, seine Frau wie sein Pferd zu behandeln. Ja, wenn Mac Leod mit dem Etikett der Ehrenhaftigkeit die Scheidung betrieben hätte, würden die hohen Herren von der Justiz sich sicher beeilt haben, sie auszusprechen; aber das geschah erst drei Jahre später. Zunächst gefällt es dem würdigen Gatten, als er erfährt, seine sündige Ehehälfte widme sich im modernen Babel dem Tanze, ihr einen Brief zu schreiben mit der Drohung, er würde sie in ein Kloster sperren lassen. Als ob man noch in den Zeiten Ludwigs XVI. lebte! Eine Pariserin hätte sich über dieses urväterische Ansinnen krank gelacht. Die unerfahrene Holländerin ist bestürzt, im ersten Augenblick hilflos; sie weint und erfleht telegraphisch Rat, um schließlich in die Heimat zu eilen und sich in einem strengen Hause bei Verwandten in Nymwegen vor der Welt zu verschließen.
Mit erstaunlich kühler Entsagung schreibt sie im Januar 1904: »So bin ich also verdammt, hier zu bleiben ...« Hier, das ist das provinziale Grau eines nebligen, spießigen und freudlosen Haushalts, wo nur die blankgescheuerten Kupferkessel das Recht haben, zu glänzen, wenn es der bleichen Sonne beliebt, sie zu streicheln. Hier, das ist die ausgestorbene Straße, die träge Straße, die feindselige Straße, wo das Geräusch eines unbekannten Schrittes die Dienstmädchen verführt, neugierig verstohlene Blicke durch die Gardinen zu werfen. Hier, das ist ein Tulpengärtchen, dessen Pflanzen im kalten Wind erschauern. Hier, das ist der Nebel, der weiche Nebel, der alles wie in einen Schleier hüllt, der den Schall dämpft, der selbst das Glockenspiel der Rathausuhr nur mit dünnen Silbertönen erklingen läßt. Hier, das ist die nie aussetzende Überwachung durch die Mütter, Tanten und Basen, die etwas haben läuten hören von dem Skandal einer Flucht nach Paris und von öffentlichen Tänzen in Theatern. Hier, das ist kurz ein Gefühl der Schande und einer unstillbaren Sehnsucht nach ...
Ja, einer Sehnsucht! Denn das hat ihr das kurze Leben in Paris bereits deutlich zur Erkenntnis gebracht: in der lächelnden gastlichen Lutetia wogt das Leben und die Leidenschaft, blüht Ruhm, Hoffnung, Freiheit, Glück. »Ich werde triumphieren, früher oder später!« – so denkt sie. Aber von ihren Verwandten, die sie beherbergen, hat jeder Künstler und ganz besonders ein Pariser nichts anderes zu erwarten als unendlichen Haß und tiefste Verachtung, und es ist selbstverständlich, daß diese holländischen Spießbürger sie mit Argusaugen bewachen, um eine Rückkehr in die Hauptstadt der Sünde zu verhindern, die sie, fanatische Leser der Bibel, nur ein Sodom und Gomorrha der modernen Welt nennen. Es ist nicht schwer, sich die reizende und verzagte Einsiedlerin in dieser Lage vorzustellen. Der lange Dornenweg ihrer Ehe liegt hinter ihr, vor ihrer Seele öffnet sich das Reich der Kunst und der Liebe, was wunder, daß sie nur darauf bedacht ist, völlige Unabhängigkeit zu erlangen, damit sie nach Frankreich zurückkehren kann. Ihr heller Verstand ahnt ganz richtig, daß ihre exotische Schönheit außerhalb Hollands so etwas wie ein Abgott werden würde. Sie spürt schon jetzt mit völliger Sicherheit, daß, einmal frei, Scharen von Anbetern ihr zu Füßen liegen und sich mit heißen Wünschen nach ihr verzehren werden. Ein berühmtes Bild, gemalt als sie auf der Höhe ihres Lebens stand, beweist, daß alle, die von ihrer unvergleichlichen Schönheit sprechen, nicht übertreiben. »Groß und schlank trägt sie auf einem
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