Mata Hari
tauften mich auf den Namen
Mata Hari
, das heißt
Augenstern des Morgenrots
. Als ich meinen ersten Schritt tat, brachten sie mich in das große unterirdische Gemach der Shivapagode, um, den mütterlichen Spuren folgend, in die heiligen Zeremonien des Tanzes eingeführt zu werden. Aus meiner frühesten Kindheit habe ich nur ganz unbestimmte Erinnerungen an ein eintöniges Dasein: in langen Vormittagsstunden ahmte ich automatisch die Bewegungen der Bajaderen nach und am Nachmittag wand ich in den Gärten Girlanden aus Jasmin, um damit die priapischen Altäre des Tempels zu schmücken. Als für mich das Alter der Reife kam, beschloß die Oberpriesterin, die in mir ein auserwähltes Geschöpf sah, mich Shiva zu weihen und enthüllte mir die Geheimnisse der Liebe und des Glaubens in einer strahlend schönen Frühlingsnacht, wenn Sakty-pudja herrscht ...
Bei dieser Stelle des Märchens fuhr, sagt man, der Tänzerin ein heiliger Schauer über den Leib. – Können Sie sich eine Vorstellung von der Sakty-pudja in der Pagode der Kanda Swany machen? Aber ihre europäischen Anbeter, worunter sich sehr häufig Akademiker und Minister befanden, mußten insgesamt gestehen, daß ihnen die brahmanischen Saturnalien Indiens unbekannt wären.
Und dann erklärte sie, angeregt durch den Wein, die Eitelkeit, das strahlende Licht in einem Meer von Wohlgerüchen, kurz durch die raffinierteste Luxus-Stimmung, die Mysterien der erhabensten Nacht, wobei ihre Stellungen und Bewegungen weit mehr sagten als ihre Worte. – In dieser Nacht, erzählt sie weiter, kosten die Fakire die grausamen und göttlichen Wonnen des Shiva – Paradieses bis aufs letzte aus. Die ersten Stunden des Festes sind stets der Liebessehnsucht im Opiumrausch gewidmet. Plötzlich, etwa wenn die Magier am Himmel das Zeichen der drei Göttinnen entdecken, ertönt aus dem Dunkel heraus die Musik mit betörenden Liebesharmonien. Unter dem fleischigen Laube des Dschungels kündet ein Glucksen das Erwachen der geweihten Schlangen an, die beim Erkennen ihrer Tanzrhythmen sich auf den Weg zum Tempel machen, wo Shiva ihre Huldigungen erwartet. Und dann beginnen die Schlangen zu tanzen. Und mit ihnen vereinigt, schlängelnd wie sie, kalt wie sie, mit Schmuck bedeckt, tanzen schließlich auch die nackten Bajaderen.
Ein alter Freund, der zu einem der berühmten nächtlichen Gelage geladen war und dort hörte und sah, wie Mata Hari ihre künstlerische Weihe schilderte, sagte mir, man könne sich unmöglich die Wirkung der mystischen Verzückung vorstellen, die ihre aufreizenden Stellungen, ihr fieberndes Beben und ihre epileptischen Verrenkungen hervorriefen. Sie war Göttin und Reptil in einem. Ihre großen dunklen Augen, im Taumel halb geschlossen, ließen zwischen den Lidern nur zwei phosphoreszierenden Stichflammen Bahn. Ihre wohlgeformten, ambraduftenden, langen und von Sinnlichkeit durchzitterten Arme schienen ein unsichtbares Wesen zu umschlingen. In den beringten, glänzenden, prächtig gestrafften Beinen zuckten die Muskeln, als ob sie aus der Haut springen wollten. Wer das gesehen hat, glaubte der Metamorphose einer Schlange in eine Frau beizuwohnen.
Diese Worte meines Freundes belebten wieder in meinem Gedächtnis das Gesicht einer Nacht, wo auch ich einem dieser dunklen und seltsamen Feste beiwohnte. Nur mit dem Unterschied, daß sich mein Fest nicht in dem reservierten Kabinett eines Pariser Restaurants nach dem Abendessen entrollte, sondern tatsächlich im fernen Indien, nicht weit von Colombo in einem klösterlichen Milieu, wo eine kleine Bajadere vor kauernden Singhalesen zu ihren Füßen tanzend die Anbetung eines ganzen Volkes entgegennimmt. Ich habe schon in meinen »Eindrücken aus dem Orient« dieses wunderbare und lastende, religiöse und familiäre Schauspiel in Worte zu fassen versucht. Nachdem wir uns mehr als zwei Stunden in den niederen Quartieren umhergetrieben hatten, drangen wir in einen Hof, matt erhellt von Papierlaternen. Anfangs sahen wir nur recht armselige Gestalten in weißen Hemden und noch armseligere, die ganz nackt waren. Aber nach und nach entdeckten wir in der Menge verborgen ein paar Seidenkleider und vier oder fünf gelbe Shawls, woran man die Buddhapriester erkennt. Wie alle anderen setzten auch wir uns auf eine Matte und warteten. Der Tanz hatte noch nicht begonnen. Aber eine quälende Musik, eine Musik, die nie einen Anfang gehabt zu haben scheint und nie ein Ende finden dürfte, eine Musik mit dem Laut einer zerrissenen Klage,
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