Mathias Sandorf
befürchten. Die Dampf-Yacht hatte in weniger als einer halben Stunde die kleine Rhede von Sidi-Yusuf durchmessen. Nachdem sie die Spitze von Kap Bon erreicht hatte, das so massiv aus dem tunesischen Festlande herausgearbeitet ist, doubtirte sie schnell den Leuchtthurm auf seinem äußersten Ende, das ganze wundervolle System von starrenden Klippen.
Der »Ferrato« dampfte mit voller Geschwindigkeit durch den Golf von Tunis, den man zwischen Kap Bon und Kap Carthago liegend versteht. Zu seiner Linken entwickelte sich die Reihe der Abhänge des Djebels Bon-Karnin, des Djebels Rossas und des Djebels Zaghuan mit einigen Ortschaften, welche hier und dort in den Grund der Schluchten hineingebaut sind. Rechts schimmerte im ganzen Glanze des arabischen Kasbah, im vollen Sonnenlichte die heilige Stadt Sidi-Bu-Saïd, die vielleicht eine der Vorstädte des alten Carthago ist. Weiter hinten stieg Tunis, weiß erglänzend in der Sonne über dem See vom Bahira auf, ein wenig rückwärts von dem Arm, den La Golette allen den von den europäischen Packetbooten Ausgeschissten entgegenstreckt.
In einer Entfernung von zwei oder drei Meilen vom Hafen ankerte ein Geschwader französischer Kriegsschiffe; weiter dem Lande zu schaukelten einige Handelsschiffe vor ihren Ketten; ihre verschiedenen Flaggen gaben der Rhede ein buntes Aussehen.
Es war ein Uhr, als der »Ferrato« die Anker warf, drei Längen vor dem Hafen La Golette. Nachdem die üblichen Formalitäten erfüllt waren, wurde den Passagieren der Dampf-Yacht der freie Zutritt zum Festlande gewährt. Der Doctor, Peter, Luigi und seine Schwester nahmen in dem Schiffsboote Platz, welches sofort abstieß. Nachdem es den Molo passirt hatte, glitt es durch den schmalen Canal, der stets von, an beiden Seiten des Quais ankernden Schiffen dicht gefüllt ist, und langte vor dem unregelmäßigen, mit Bäumen bepflanzten, von Landhäusern, Agenturen, Kaffees eingerahmten Platze an, auf dem Malteser, Juden, Araber, französische Soldaten und Eingeborene durcheinander wimmeln, vor dem Eingange zur Hauptstraße von La Golette.
Der Brief von Borik war aus Carthago datirt, und dieser Name, nebst einigen auf der Erdoberfläche zerstreut liegenden Ruinen ist Alles, was von der Stadt Hannibal’s übrig geblieben ist.
Um an die Küste von Carthago zu kommen, braucht man nicht die kleine italienische Eisenbahn zu benützen, die La Golette und Tunis verbindet und um den See von Bahira herumführt. Entweder am Ufer entlang, dessen fester und harter Sand den Fußgängern einen vortrefflichen Fußpfad bietet, oder auf einer staubigen Straße, die etwas weiter zurück durch die Ebene geführt ist, langt man bequem an den Fuß des Hügels, der die Kapelle des heiligen Ludwig und das Kloster der algerischen Missionäre trägt.
Als der Doctor und seine Begleiter ausstiegen, befanden sich gerade mehrere Wagen, mit kleinen Pferden davor, wartend auf dem Platze. Im Handumdrehen hatte man den einen dieser Wagen bestiegen und dem Kutscher Befehl ertheilt, in möglichster Eile nach Carthago zu fahren. Der Wagen durchfuhr im schnellsten Trab seiner Pferde die Hauptstraße von La Golette und passirte die prächtigsten Landhäuser, welche die reichen Tunesen während der großen Hitze bewohnen, ferner die Paläste von Keradine und Mustapha, die sich an der Küste, an den Eingängen zu den alten Häfen der carthaginiensischen Hauptstadt erheben. Vor mehr als zweitausend Jahren bedeckte die Nebenbuhlerin Roms diese ganze Uferstrecke, von der Spitze von La Golette bis zum Kap, welches jetzt noch ihren Namen trägt.
Die auf einem kleinen, zweihundert Fuß hohen Hügel erbaute Kapelle des heiligen Ludwig erhebt sich auf demselben Platze, auf welchem, wie festgestellt ist, der König von Frankreich im Jahre 1270 gestorben ist. Sie nimmt den Mittelpunkt einer kleinen Anlage ein, die mehr antike Scherben, architektonische Fragmente, Bruchstücke von Statuen, Vasen, Säulen, Inschriften, Capitälen, Pfeilern als Bäume oder Gebüsche zählt. Dahinter befindet sich das Kloster der Missionäre, deren Prior augenblicklich der Vater Delattre, ein gelehrter Archäologe, ist. Von der Höhe dieser Anlage beherrscht man die ganze Sandküste von Kap Carthago an bis zu den ersten Häusern von La Golette.
Am Fuße des Hügels erheben sich einige Paläste arabischer Bauart mit Säulenreihen nach englischer Mode; sie spiegeln im Meere ihre eleganten Verpfählungen wieder, an denen die Boote der Rhede anlegen können. Jenseits liegt
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