Mathias Sandorf
auch jetzt noch nicht ihre frühere Willensstärke gewichen war. Man erkannte in ihr noch die tapfere Gefährtin, die intime Vertraute des Mannes wieder, der seine Stellung seiner vermeintlichen Pflicht zu Liebe geopfert hatte, seine Mitschuldige, als er sich mit Mathias Sandorf und Ladislaus Zathmar in die Verschwörung eingelassen hatte.
»Herr Doctor, sagte sie mit einer Stimme, deren Rührung sie vergebens zu unterdrücken sachte, wenn Sie wirklich Doctor Antekirtt sind, so schulde ich Ihnen die Erzählung der Ereignisse, welche sich vor fünfzehn Jahren in Triest zugetragen haben.
– Da ich wirklich der Doctor Antekirtt bin, gnädige Frau, so ersparen Sie sich, bitte, eine Wiederholung jener für Sie so schmerzlichen Thatsachen. Ich kenne sie und setze noch hinzu – da ich eben Doctor Antekirtt bin – daß ich auch weiß, wie Ihr Leben seit jenem unvergeßlichen 30. Juni des Jahres 1867 verflossen ist.
– So werden Sie mir auch sagen können, Herr Doctor, welchem Beweggrunde das Interesse, welches Sie an meinem Leben nehmen, entspringt?
– Es ist das Interesse, welches jeder Mann von Gemüth der Witwe des Magyaren schuldet, der nicht gezögert hat, seine Existenz für die Unabhängigkeit seines Vaterlandes hinzugeben.
– Sie haben meinen Mann, den Professor Stephan Bathory, gekannt? fragte die Witwe mit zitternder Stimme.
– Ich habe ihn gekannt, ihn geliebt und verehre alle Diejenigen, welche seinen Namen tragen.
– Stammen Sie aus dem Lande, für welches er sein Blut vergossen hat?
– Ich stamme aus keinem Lande, gnädige Frau.
– Wer sind Sie also?
– Ein Todter, der sein Grab noch nicht gefunden hat,« erwiderte Doctor Antekirtt kühl.
Frau Bathory und Borik überlief es bei dieser unerwarteten Antwort kalt. Der Doctor setzte schnell hinzu:
»Ich muß indessen die Erzählung, die ich Sie bat, mir nicht zu wiederholen, jetzt selbst noch einmal berühren, denn so viele Umstände Sie auch bereits kennen, so gibt es doch noch andere, welche Ihnen bisher unbekannt waren, die Ihnen aber jetzt nicht länger vorenthalten werden sollen.
– Ich höre, Herr Doctor.
– Vor fünfzehn Jahren, gnädige Frau, begann Doctor Antekirtt, stellten sich drei Edle Ungarns an die Spitze einer Verschwörung, welche Ungarns frühere Unabhängigkeit wieder herzustellen bezweckte. Diese Männer waren Graf Mathias Sandorf, Professor Stephan Bathory, Graf Ladislaus Zathmar, drei seit Langem derselben Hoffnung lebende Freunde, drei Wesen, denen das gleiche Herz in der Brust schlug.
– Am 8. Juni 1867, dem Tage vor dem zum Ausbruche des Aufstandes festgesetzten Termine, der sich über ganz Ungarn und Siebenbürgen erstrecken sollte, wurde das Haus des Grafen Zathmar in Triest, in welchem die Häupter der Verschwörung versammelt waren, von der Polizei umstellt. Graf Sandorf und seine beiden Genossen wurden verhaftet, fortgeführt, in derselben Nacht noch in den Thurm von Pisino eingesperrt und wenige Wochen später zum Tode verurtheilt.
– Ein junger Commis, Namens Sarcany, wurde gleichzeitig mit den Genannten im Hause des Grafen Zathmar verhaftet. Da sich im Verlaufe der Verhandlung herausstellte, daß er dem Complot völlig fern gestanden habe, so zögerte man nicht, die Anklage gegen ihn zurückzunehmen und ihn freizulassen.
– In der Nacht vor dem Tage der Urtheilsvollstreckung wurde von den Gefangenen, die in derselben Zelle vereinigt waren, ein Ausbruch versucht. Graf Sandorf und Stephan Bathory entkamen mit Hilfe des Blitzableiterkabels aus dem Wartthurme von Pisino und stürzten in dem Augenblicke in den Strudel der Foïba, als Ladislaus Zathmar von den Aufsehern ergriffen und seine Flucht vereitelt wurde.
– Obwohl die Flüchtigen wenig Aussicht hatten, dem Tode zu entgehen, da ein unterirdischer Strom sie in ein Land spülte, welches sie nicht kannten, so gelang es ihnen doch, das Ufer des Canals von Leme, später die Stadt Rovigno zu erreichen, wo sie in dem Hause des Fischers Andrea Ferrato ein Unterkommen fanden.
– Dieser Fischer – ein edelmüthiger Mann – traf alle Vorbereitungen, um sie auf die italienische Küste hinüber zu bringen. Ein Spanier, Namens Carpena jedoch, der ihren Schlupfwinkel aufgespürt hatte, verrieth sie aus Rachsucht gegen den Fischer der Polizei von Rovigno. Sie versuchten zum zweiten Male zu entkommen. Allein Stephan Bathory fiel verwundet in die Hände der Verfolger. Mathias Sandorf, der bis in das Meer hineingejagt wurde, fiel unter einem Hagel von Kugeln
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