Mathias Sandorf
Bathory nie gesehen haben, so müssen Sie sie jedenfalls doch kennen, da Sie der Herr Doctor Antekirtt sind.«
Dieser horchte aufmerksam auf die Worte des alten Dieners, dessen Augen gesenkt blieben. Er schien sich zu fragen, ob sich in diesen Worten wohl ein Hintergedanke verberge.
»Was wünscht Frau Bathory von mir? fragte er dann.
– Aus Gründen, die Ihnen bekannt sein dürften, Herr Doctor, wünscht meine Dame eine Unterredung mit Ihnen.
– Ich werde sie besuchen.
– Sie würde es vorziehen, zu Ihnen auf das Schiff zu kommen.
– Warum?
– Es liegt ihr daran, daß diese Unterredung geheim bleibt.
– Geheim? Wem gegenüber?
– Ihrem Sohne. Peter braucht nicht zu erfahren, daß Frau Bathory einen Besuch von Ihnen empfangen hat.«
Der Doctor war bald am Borgo-Pille angelangt. (S. 203.)
Diese Antwort schien den Doctor zu befremden; doch ließ er sich vor Borik nichts merken.
»Ich ziehe es vor, Frau Bathory aufzusuchen, meinte er laut. Könnte ich nicht zu ihr kommen, wenn ihr Sohn nicht zu Hause ist?
– Sie können es, Herr Doctor, wenn Sie geneigt sind, nicht vor morgen zu kommen. Peter reist heute Abend nach Zara und wird erst einen Tag später zurückkehren.
– Und womit beschäftigt sich Peter Bathory?
– Er ist Techniker, hat aber bis jetzt keine Stellung finden können. Ja, ja! Mutter und Sohn haben ein entbehrungsreiches Leben geführt.
– Entbehrungsreich! entfuhr es den Lippen des Doctors. Madame Bathory verfügt also über keine Hilfsquellen?«
Er schwieg. Der Greis hatte den Rücken noch tiefer gebeugt und nur schwere Seufzer hoben seine Brust.
»Ich kann Ihnen nichts weiter sagen, Herr Doctor. In der Unterredung mit Ihnen wird Frau Bathory Ihnen gewiß Alles erzählen, was Sie wissen dürfen.«
Der Doctor mußte sich stark zusammennehmen, um nichts von seiner Bewegung merken zu lassen.
»Wo wohnt Frau Bathory? fragte er weiter.
– In Ragusa, im Stadttheile des Stradone, Marinella-Straße 17.
– Wird Frau Bathory morgen Mittag zwischen ein und zwei Uhr zu sprechen sein?
– Ja wohl, Herr Doctor, ich selbst werde Sie zu ihr führen.
– So sagt Frau Bathory, daß sie morgen zur eben genannten Stunde auf meinen Besuch rechnen kann.
– Ich danke Ihnen in ihrem Namen,« erwiderte der Greis.
Nach einigem Zögern setzte er noch hinzu:
»Sie dürfen annehmen, Herr Doctor, daß es sich um einen Frau Bathory zu leistenden Dienst handelt.
– Und worin bestände er? fragte lebhaft der Doctor.
– Ich kann es nicht sagen,« antwortete Borik.
Dann verneigte er sich tief und wendete sich der Straße zu, die von Gravosa nach Ragusa führt.
Die letzten Worte des alten Dieners hatten Doctor Antekirtt sichtlich überrascht. Er war unbeweglich auf dem Quai stehen geblieben und blickte dem sich entfernenden Borik nach. Nach seiner Rückkehr an Bord ertheilte er Pointe Pescade und Kap Matifu Urlaub; er schloß sich alsdann in sein Zimmer ein und wollte während der übrigen Tagesstunden nicht gestört sein.
Pointe Pescade und Kap Matifu nützten die erhaltene Erlaubniß ganz in der Weise wirklicher Rentner aus, die sie jetzt waren. Sie konnten es sich sogar nicht versagen, einige der Jahrmarktsbuden zu betreten. Wenn man behaupten wollte, daß unser gewandter Clown nicht Lust empfand, einen ungeschickten Equilibristen zurecht zu weisen, daß es dem mächtigen Kämpen nicht in den Fingern juckte, an dem Athletenkampfe Theil zu nehmen, so wäre das eine offene Unwahrheit. Beide erinnerten sich indessen rechtzeitig, daß sie die Ehre hatten, zur Besatzung der »Savarena« zu gehören. Sie blieben also einfache Zuschauer und kargten mit ihrem Beifalle nicht, wenn er ihnen verdient erschien.
Am nächsten Tage kurz vor zwölf Uhr ließ sich der Doctor an Land bringen. Nachdem er sein Boot wieder zurückgeschickt hatte, schlug er den Weg nach Ragusa ein durch die in der Höhe angelegte, zwei Kilometer lange, von Landhäusern und schattigen Bäumen eingefaßte Straße.
Die Allee war noch nicht so belebt, wie sie es gewöhnlich durch die auf und ab fahrenden Equipagen, durch die Menge der Fußgänger und Reiter einige Stunden später wurde.
Der Doctor, in Gedanken an das bevorstehende Zusammentreffen mit Frau Bathory verloren, hatte einen Seitenweg eingeschlagen und war bald am Borgo-Pille angelangt, einer Steinwand, die außerhalb der drei Befestigungswälle der Stadt gelegen ist. Das Ausfallsthor stand offen und der Weg führte unter den drei Wällen fort in das Innere der
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