Mathilda, Mathilda! - Drei wie Wind und Wirbel (German Edition)
keine Nachbarn.
Und wieder konnte ich nur eines denken: Was sollte ich in diesem verlassenen Nest? Waren Friederike und ich vielleicht die einzigen unter 40 Jahren in diesem Dorf?
Ein Bulle vor der Türe
A m nächsten Morgen tapsten aus allen Zimmern verschlafene Gestalten in Nachthemden, Longshirts und Pyjamas in die Küche. Dort stand schon Anouk in einem kurzen schwarzen Nachthemd mit Spitze – ihr Styling ist immer genial – und kochte Kaffee.
»Bitte extrastark«, rief Moni und rieb sich die Augen.
»Bitte schnell«, bat Theresa und suchte noch im Halbschlaf Tassen aus einem Umzugskarton heraus. Gegenüber von der Küche kniete meine Mutter – noch in Schlaf-T-Shirt und gestreiften Pyjamahosen – bereits in ihrem Büro zwischen Bücherstapeln und Umzugskartons.
Es war der Tag 1 in Krähwinkel. Die Möbelpacker hatten sich gestern wirklich ins Zeug gelegt. Bestimmt nur, weil sie vier Frauen ohne sichtbare Männer beeindrucken wollten. Zum Glück sind sie seit gestern Abend wieder weg. Die meisten Möbel stehen jetzt schon an ihren Plätzen, der Herd ist angeschlossen, aber überall stapeln sich noch Umzugskisten und Bücher.
Friederike holte die Milch aus dem Kühlschrank, der gleich neben dem Küchenfenster steht. Plötzlich rief sie laut: »Mama, vor dem Fenster steht ein Bulle!«
Im Arbeitszimmer strich sich unsere Mutter gedankenverloren die Haare zurück und sagte entschieden: »Friederike, das heißt Polizist, und ich möchte nicht, dass du diesen Beruf anders bezeichnest.«
Mama legt natürlich immer großen Wert auf unseren Wortschatz. Das ist wahrscheinlich berufsbedingt, denn sie übersetzt Bücher.
Doch Friederike rief wieder: »Mama, da steht aber wirklich ein Bulle vorm Haus!«
Jetzt erst sah ich zum Fenster und machte gleich ein paar Schritte zurück. Ich stieß gegen Theresa, die nur stöhnte: »Ich fasse es nicht.« Moni und Anouk stießen einen schrillen Schrei aus, dann rissen sie Friederike weg vom Küchenfenster.
Denn im Blumenbeet, gleich vor dem Küchenfenster, stand ein pechschwarzes Vieh mit Hörnern, das auch noch gegen die Fensterscheibe schnaubte. Die Glasscheibe beschlug von seinem Atem. Mama sprang mit einem Satz an uns vorbei, knallte die Küchentür zu und schrie: »Mit einem Bullen ist nicht zu spaßen, wenn der wild wird…« Mama sah ganz blass aus.
Was sollten wir jetzt tun? Verschreckt standen wir zu sechst und in Schlafkleidung in der Eingangshalle.
»Ist er noch da?« Moni zitterte und legte sich die Arme um ihre Schultern.
Ich schaute durch das kleine Fenster in unserer Haustür nach draußen und nickte. Der Bulle schnupperte nun an unserem Briefkasten. Dann stupste er den Briefkastendeckel auf und zu. Auf und zu, auf und zu. So, als ob er dringend auf Post wartete. Plötzlich fand ich die ganze Situation komisch.
Aber Mama war todernst. Sie griff nach dem Telefon, konnte aber kaum wählen, weil ihre Hände so zitterten. »Ich – ich rufe jetzt die Polizei an«, stammelte sie.
»Ich mache das schon, Mama.« Friederike nahm ihr das Telefon aus der Hand. Warum war ich nicht auf die Idee gekommen, zu dumm. Aber meine Schwester wusste nicht, welche Nummer die Polizei hat.
»110«, sagte ich lässig und fühlte mich gleich um Jahre älter als dieses Kind.
»Moment«, rief Mama. »Ist das wirklich ein Notfall?«
»Unbedingt, Beatrix!«, »Wer weiß, ob dieser Bulle Menschen angreift!«, »Wir sollten keine Sekunde länger warten«, riefen ihre Freundinnen wild durcheinander.
Doch da klingelte es – an unserer Haustür! Wir sahen uns alle verwundert an. Wer sollte das nur sein? Hatte vielleicht ein Nachbar die Polizei angerufen?
»Ich – Ich mache auf«, sagte ich und ging zur Tür.
»Sei bloß vorsichtig, Mathilda, der Bulle ist da ganz in der Nähe.« Mamas Stimme zitterte, aber sie stellte sich hinter mich.
»Ich passe schon auf!« Auf einmal fühlte ich mich ziemlich erwachsen. Vorsichtig öffnete ich die Tür, nur einen Spaltbreit, man weiß ja nie.
»Oh, wir sind ja gar nicht richtig angezogen«, kreischten Anouk, Moni und Theresa. Da war es zu spät. Vor der Tür stand ein alter Mann. Er hatte schon viele Falten und sah freundlich aus. »Guten Morgen«, sagte er ganz ruhig zu uns. Und dann rief er in die Eingangshalle. »Meine Damen, bitte machen Sie sich keine Sorgen. Der Bulle will nur spielen.«
»Der – der will nur spielen«, echote Mama mit einem Gesicht so weiß wie die Wände in der Eingangshalle.
Der alte Mann nickte. »Manchmal
Weitere Kostenlose Bücher