Matti & Dornröschen 03 - Ein Mörder kehrt heim
weitere Stapel, Zeugnisse des Stasi-Fleißes. Zigtausende von Seiten.
Diesmal stupste Twiggy Matti in die Seite. Matti las die Aussagen von Bommi Baumann. Auch den hatten sie auf der Autobahn aufgegriffen. Schlecht gefälschte Papiere, so blöd musste man erst mal sein. Bommi war eine große Nummer gewesen in der Szene. Und dann war er abgetaucht. Schon auf der Flucht vor den Bullen stellte er sich gegen die einstigen Genossen. Als er nach Jahren verhaftet wurde, bereute er, gelobte Besserung, saß ein paar Jahre ab und warnte seitdem vor Terror und Drogen.
»Das Auspacken hat er hier geübt«, flüsterte Twiggy.
Die Aussage wollte gar kein Ende nehmen. Und die freundlichen Stasi-Vernehmer hatten immer noch eine Frage und noch eine und noch eine. Und Bommi antwortete geduldig und brav. Bis sie ihn endlich nach Westberlin ausreisen ließen. Man trennte sich als Freunde.
Die nächste Aussage stammte von Gerhard Müller. An den erinnerte sich Matti gut, weil er zu den frühen RAF -Kronzeugen gehört hatte. Auf seine Aussage stützte sich die Behauptung, Baader habe Anjas Mutter ermordet. Müller hatte wie Baumann bei der Stasi geübt. Wieder Hunderte von Seiten. Wieder alle Details, wahre und zusammengereimte.
Auf Müller folgte Westreich. »Ich glaub’s nicht«, stöhnte Matti.
Die Lesesaaltür öffnete sich, die Oberlehrerin wurde abgelöst. Der Neue war ein mittelalter Fettkloß mit einer riesigen schwarzen Brille. Die Oberlehrerin flüsterte dem Fettkloß ins Ohr und blickte verbrämt auf die WG .
Dornröschen lehnte sich von der einen Seite zum Aktenordner, Twiggy von der anderen.
Im OV »Eifer« soll die Person Westreich, Georg, geboren 14. 4. 1949 in Calw, nach § 98 St GB in Verbindung mit § 108 St GB operativ bearbeitet werden.
Dann folgte, was sie schon wussten. Infos über Georgs politische Arbeit in Westberlin, Tupamaros und so weiter. Erstaunlich aber war, dass die Angaben für die Zeit seines Lebens im Untergrund mindestens ebenso genau waren. Sein Streit mit den Genossen, die er als defätistisch beschimpfte. Die Trennung von Ingeborg. Seine erste Aktion war ein Banküberfall in Westberlin. Dann half er vielleicht – die Stasi war sich nicht sicher –, einem US -Soldaten in Frankfurt am Main den Dienstausweis abzunehmen, nachdem ein heldenhafter Genosse den GI in einem Waldstück erschossen hatte. Schuss in den Hinterkopf. »Genauso haben Gestapo und NKWD die Leute abgeknallt. Bewährtes bleibt«, sagte Dornröschen trocken.
»Ist nicht bewiesen, dass Georg dabei war«, widersprach Matti.
»Steht auch nicht im Fahndungsaufruf«, assistierte Twiggy.
»Ist er dagegen gewesen?«, widersprach Dornröschen.
»Vielleicht«, sagte Matti.
»Dann hätte er vielleicht was dagegen tun sollen.«
»Da hätte es vorher und nachher Gründe gegeben«, sagte Matti. »Die Selektion jüdischer Passagiere bei dieser Flugzeugentführung, das Abknallen von Chauffeuren und Sicherheitsleuten bei der Schleyer-Entführung, auch bei Buback und so weiter …«
»Wenn man es so sieht, hätten sie gar nichts mehr machen dürfen, nachdem sie bei der Baader-Befreiung einen Bibliothekar umgenietet haben«, sagte Twiggy. »Aber im Krieg gibt’s Kollateralschäden. Sie haben sich im Krieg gesehen.«
»In Afghanistan wird es als Fortschritt gefeiert, wenn sie mit Drohnen-Raketen nicht mehr ganze Dörfer ausrotten, sondern nur noch eine Familie mit Kindern, Oma und Opa, um den einen Terri zu erwischen. Sind ja nur Afghanen«, sagte Matti.
»Schluss mit dem Geschwätz!«, befahl Dornröschen.
Weiter in den Akten. Mithilfe des Dienstausweises schafften sie ein Auto mit falschen Kennzeichen auf den Parkplatz einer US -Kaserne. Wieder war Georg vielleicht dabei. Tote und Verletzte, als der Sprengstoff im Auto hochging. In der Erklärung danach wurde der antiimperialistische Kampf gepriesen.
Die Stasi notierte auf dem folgenden Blatt, dass die Ermordung des US -Soldaten Unruhe und Kritik hervorgerufen habe in der Szene. Die meisten lehnten solche Kampfmethoden ab. Nicht aber den Sprengstoffanschlag. »Wir gönnen dem US -Imperialismus keine Ruhezonen. Der Krieg ist überall«, zitierte die Stasi.
»Die haben einen Haufen Infos zusammengetragen über Georg. Guckt mal, hier berichten sie, wie Georg dem BKA in der Nähe von Frankfurt durch die Lappen ging. Sie haben ihn verfolgt und dann verloren. Wahrscheinlich hat er es gar nicht gemerkt. Später haben sie eine Wohnung entdeckt, in der er wohnte. Hochhaus,
Weitere Kostenlose Bücher