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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Um halb eins war der Direktor von seinem gefühlvollen Spaziergang zurückgekehrt, und er war ins Büro gegangen mit dem Abteiliger Jutzeler. Unterdessen wartete die Irma Wasem im Hof. Viertel ab eins war der Direktor mit einer Mappe unter dem Arm aus seiner Wohnung heruntergekommen – die Mappe hatte also in seiner Wohnung gelegen, was hatte die Mappe enthalten? Sie war verschwunden, genau wie die Brieftasche…
    Blieb das verwüstete Büro… Wie war das in die ganze Geschichte einzufügen?
    Zwei Frauen hatten den Direktor ein Viertel nach eins aus dem Mittelgebäude kommen sehen. Zwei Frauen und ein Mann (der Mann war zwar Patient, aber sicher in dieser Beziehung zuverlässig) hatten den Schrei gehört, kurz vor halb zwei…
    War der Direktor ins Büro zurückgekehrt, hatte ihn dort ein Unbekannter niedergeschlagen, die Leiche in die Heizung geschleift und über die Leiter hinuntergeworfen?… Das war Chabis! Das konnte nicht stimmen… Und doch hatte merkwürdigerweise das verwüstete Büro den Dr. Laduner dazu bestimmt, die Behörde in der Person des Wachtmeisters Studer anzufordern… Viertel vor eins verschwindet Pieterlen, halb zwei der Schrei!… Zeit genug… Aber wie war Pieterlen aus der Abteilung B entwichen? Denn mit dem Hinauslassen in den Aufenthaltsraum war gar nichts erklärt. Es war noch die Gangtüre da, zu deren Öffnung Passe und Dreikant nötig waren, es gab noch das Tor, das aus dem B in den Hof führte…
    Bohnenblust seufzte tief und rasselnd. Dann stand er auf, schlich leise durch den Saal; in einer fernen Ecke stöhnte ein Mann im Traum. Studer sah den Nachtwärter die Decke aufheben, die zu Boden geglitten war, den Unruhigen zudecken, ihm flüsternd zusprechen… Ein Mann mit einem weichen Herzen…
    Der Wachsaal mit seinen zweiundzwanzig Betten… Und in jedem Bette lag ein Mann. Das blaue Deckenlicht grub schwarze Flecke in die stoppligen Gesichter… Zweiundzwanzig Männer… Die meisten hatten wohl Familie, eine Frau daheim, Kinder oder eine Mutter, Brüder, Schwestern… Sie atmeten schwer, manche schnarchten. Die Luft war dick, durchsetzt von Menschendunst – und es nützte nichts, daß ein Fenster offen war, das Fenster mit den feinen Gitterstäben, das nach U 1 ging…
    Zweiundzwanzig Männer!…
    Die Anstalt Randlingen erschien dem Wachtmeister auf einmal wie eine riesige Spinne, die ihre Fäden über das ganze umliegende Land gespannt hat und in den Fäden zappeln die Angehörigen der Insassen und können sich nicht befreien… »Wo ist der Vater?« – »Der Vater ist krank.« – »Wo ist der Vater krank?« – »Im Spital.« Und das Raunen in den kleinen Dörfern, wenn die Frau poschte geht: »Ihr Ma isch verruckt!…« Es war wohl fast noch ärger, als wenn man sagte: »Dr Ma isch im Zuchthuus…«
    Zweiundzwanzig Männer! Ein kleiner Teil.
    »Wieviel Patienten sind in der Anstalt?« fragte Studer.
    »Achthundert«, antwortete Bohnenblust. Sein Kopf ruhte wieder auf dem großen Fettfleck an der Wand, der Zeugnis ablegte von den anstrengenden Stunden des Nachtdienstes.
    Achthundert Patienten! Ärzte, Pfleger, Schwestern wurden mobilisiert, um die Kranken zu pflegen… Die Kranken! Sie galten ja nicht als Kranke, draußen!… Wenn man krank war, kam man ins Spital. Ins Irrenhaus kamen die Verrückten… Und verrückt sein, das war in den Augen der Menge genau so kompromittierend, als wenn man der Kommunistischen Partei angehörte…
    Man war beim Unbewußten zu Besuch, sagte Dr. Laduner. Man war im Reiche Mattos, sagte Schül…
    Und Studer starrte geradeaus, über die Betten hinweg, auf eines der fünf großen Fenster, die die Breitseite des Saales durchbrachen. Manchmal glitt ein greller Schein draußen vorbei, ein zweiter folgte ihm, dann kam eine Pause, wieder der Schein, noch einer… Studer erinnerte sich, daß die große Straße draußen vorbeigehen mußte. Die Lichterblitze waren nichts anderes als die Scheinwerfer der Autos…
    Dieses Aufblitzen löste zwei Gedankenverbindungen in Wachtmeister Studers Kopf aus. Die eine ließ sich leicht erklären. Sie bezog sich auf den Lichtschein, den er von seinem Zimmerfenster aus gesehen hatte: der Lichtschein war nähergekommen, ein Mann in weißem Schurz hatte eine Stallaterne getragen… Damals war es schätzungsweise ein Viertel vor zwei gewesen… Aber in jener Nacht, in welcher der Direktor verschwunden war, da hatte der Nachtwächter wohl auch seine Runde gemacht. Es war sicher ratsam, einmal mit diesem Manne zu

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