Matto regiert
eine Kloake eher.
»Schweigen Sie!« sagte Studer plötzlich ernst und fest.
Der Mann dachte nicht daran, dem Befehl Folge zu leisten. Seine nackten behaarten Beine, die unten aus dem Nachthemd herausragten, vollführten einen Kriegstanz, und wirklich! wahrhaftig! das rechte Knie hob sich, um den Wachtmeister in den Bauch zu stoßen.
Das war zuviel! Der Nachtwärter Bohnenblust, der an der Türe stand, kam mit den Augen gar nicht nach. Es klatschte. Einmal. Zweimal. Dann lag der neuzeitliche Tell bäuchlings auf dem Bett und Studers Hand fiel nieder, zwei-, drei-, viermal. Ein wenig wurde das Klatschen vom Stoff des Nachthemdes gedämpft.
»Brav!… So!… Ganz brav!« Studer hob die auf den Boden gerutschte Decke auf, deckte Schmocker zu. »Und jetzt antwortet! Habt ihr den Schlüssel genommen?«
Die Antwort kam wimmernd, wie von einem trotzigen Kind:
»Ja… a… a…«
»Warum?«
Unter wütendem Schluchzen:
»Weil ich doch nicht mit einem Mörder das Zimmer teilen wollte…«
»De spinnt ja!…« sagte Studer erstaunt, wandte sich um und sah den Bohnenblust unter seinem Schnurrbart lächeln. Und plötzlich fiel es ihm wieder ein: Er war ja im Irrenhaus! Und wunderte sich, daß einer sich erlaubte, zu spinnen! Auch er mußte lächeln. Dann schritt er zur Tür. Bevor er sie abschloß, hörte er noch:
»Und ig appelliere as Bundesg'richt!«
»Das chönnet dr sawft tue…« sagte Studer ganz versöhnt.
Bohnenblust erzählte, er habe sich während der Sichlete auf Schmockers Bett gesetzt, und es sei möglich, daß ihm dabei der eine Passe aus der Tasche gerutscht sei… Niemals sei ihm das passiert… Aber anders könne er sich die Sache nicht erklären… Studer nickte. Soweit war alles in Ordnung. Blieb noch der Dreikant, und dann stand es fest, daß Pieterlen Pierre die Abteilung hatte verlassen können, ohne Hilfe von außen… Und auch die Heizung hatte er öffnen können.
Studer hob erstaunt den Kopf, weil Bohnenblust neben ihm flüsterte:
»Uns Pflegern ist ein tätliches Vorgehen gegen Patienten streng verboten…«
Studer nickte nachdenklich.
»Weiß ich«, sagte er, und um zu zeigen, daß er auf dem laufenden war, fügte er hinzu, er wisse, Dr. Laduner sei scharf auf blaue Mose…
Morgenlicht kämpfte im Saal gegen den blauen Schimmer der Lampe. Studer trat ans Fenster. Zwei Tannen ragten auf, an ihren Wipfeln wehten zwei Wimpel aus zartgelber Seide: Nebelfetzen, durchleuchtet von den Strahlen der aufgehenden Sonne…
Es war Viertel vor sechs. Gerade als Studer fragen wollte, wann Tagwacht sei, sagte Bohnenblust leise:
– Es nehme ihn wunder, wieviel heute nacht wieder gestorben seien…
– Gestorben? Wo gestorben? – Auf den beiden unruhigen Abteilungen – die beiden letzten Nächte habe es zwar keine Todesfälle gegeben, soviel er wisse, aber vor einer Woche! Jede Nacht mindestens zwei!…
»Woran?« wollte Studer wissen, und er erinnerte sich an den Sarg, den er am ersten Morgen gesehen hatte.
– Man spräche von einer neuen Kur, die Dr. Laduner ausprobiere, sagte Bohnenblust. Aber man könne nicht wissen, was daran Wahres sei. Der Abteiliger vom U 1, Schwertfeger heiße er übrigens, sei gar verschwiegen. Auf alle Fälle seien ziemlich viele Patienten bettlägerig… Übrigens heiße es, daß der Direktor mit diesen Kuren nicht einverstanden gewesen sei. Er habe sich mit dem Dr. Laduner deswegen gestritten…
Und wenn man endlich glaubte, den Pieterlen überführt zu haben (es blieb ja nur noch das Telephongespräch, von einer männlichen Stimme geführt… ), dann kam wieder etwas anderes dazwischen! Was war das für ein Kolportageroman? Was für eine Räubergeschichte? Dr. Laduner, der Kuren mit tödlichem Ausgang unternahm?… Dumms Züüg!
Aber es ließ sich nicht so ohne weiteres vergessen, denn man hatte ja schließlich einen Vortrag gehört, in dem von einer Schlafkur die Rede gewesen war, und man hatte in den Ohren noch die merkwürdige Bemerkung des Arztes:
›… Ich glaubte schon, er würde mir unter den Händen sterben…‹
»Um sechs Uhr ist Tagwacht?« fragte Studer.
»Ja«, und Bohnenblust empfahl sich. Er holte einen Kessel, füllte ihn mit Wasser, drehte einen Feglumpen unter viel Gestöhn aus, rieb den Boden um die Badewannen mit einer Fegbürste, nahm das Wasser auf…
Dann kreischten Schlüssel in den Schlössern, Türen wurden geschletzt, schwere Tritte hallten wider. Das Wartepersonal hielt draußen seinen Einzug.
Die mittlere Wachsaaltür ging
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