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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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sprechen.
    Die zweite Gedankenverbindung ließ sich nur symbolisch erklären, aber darüber grübelte Studer nicht nach. Im Augenblick schien sie ihm ein Lichtblitz in umgebender Dunkelheit zu sein, und das genügte ihm. Diese Gedankenverbindung bezog sich auf folgendes: Der asthmatische Bohnenblust hatte beim plötzlichen Erscheinen des Wachtmeisters ein Erschrecken gezeigt, das im Verhältnis zur Geringfügigkeit seines Vergehens übertrieben war. Was steckte noch dahinter? Studer beschloß, weiter zu bohren…
    Nach vielen Fragen, nach Ächzen und Stöhnen ließ sich endlich folgender Sachverhalt feststellen:
    Bohnenblust besaß zwei Passepartouts, und einen davon hatte er verloren. Und er konnte sich nicht erinnern, wann und wo er besagten Passe verloren hatte. Noch nie war ihm derartiges in seiner fünfundzwanzigjährigen Dienstzeit passiert.
    – Aber, sagte Bohnenblust, auch wenn Pieterlen den Passe gefunden habe, so hätte er ihm nichts genützt. Er brauche noch einen Dreikant dazu…
    – Und wenn ein Dreikant verlorengegangen wäre, so wäre das gemeldet worden…
    »Ihr habt den Verlust des Passe auch nicht gemeldet!« wandte Studer ein.
    – Ja, aber das sei denn doch etwas anderes… Es sei doch unmöglich, daß einer der jungen Wärter einen Dreikant hergegeben hätte… Es sei denn, der Wärter habe mit Pieterlen unter einer Decke gesteckt… (›Wärter‹ sagte der dicke Bohnenblust und nicht ›Pfleger‹, er war offenbar noch von der alten Schule… )
    – Mit welchen Wärtern sei der Pieterlen gut ausgekommmen?
    – Mit dem Gilgen! Die beiden hätten immer zusammengehockt.
    … Der Gilgen! Der rothaarige Gilgen, der dem Wachtmeister sein Leid geklagt hatte…
    – Und Bohnenblust könne sich also nicht besinnen, wo er den Passe habe liegen lassen?
    Der Nachtwärter beschäftigte sich so lange mit seinem Schnurrbart, daß man hätte meinen können, er wolle jedes Haar geradebiegen; endlich meinte er grochsend:
    – Der Schmocker stecke vielleicht dahinter…
    – Der Schmocker?
    Wer war nur gleich der Schmocker? Ah, der Bundesratsattentäter! Der hatte ja mit Pieterlen das Zimmer geteilt.
    – Und warum Bohnenblust meine, der Schmocker stecke dahinter?
    »Man hört manches« sagte Bohnenblust. »Die beiden im kleinen Nebenzimmer haben halbe Nächte lang dischkuriert, daß heißt, meistens hat der Schmocker geredet. Wie schlecht man es den Patienten mache, hat er gesagt, das käme alles vom Direktor, und hat den Pieterlen aufgereiset. Er wäre schon lange frei, hat der Schmocker gesagt, wenn nicht immer der Direktor dagegen wäre. Und schließlich hat auch Dr. Laduner nichts mehr ausrichten können. Der Pieterlen hat fest gemeint, der Direktor sei sein Feind. Und die Geschichte mit der Irma Wasem hat auch nichts gebessert…«

Studers erster psychotherapeutischer Versuch
    Studer stand auf, zwängte sich hinter dem Tisch hervor, ging auf die Tür zu, die vom Wartesaal ins Nebenzimmer führte, bemerkte einen Lichtschalter, außen am Türpfosten, drehte ihn… Drinnen wurde es hell.
    Dann trat er ein.
    Des Bundesratsattentäters spärliche Haare standen nach allen Richtungen vom Kopf ab. Zwischen ihnen schimmerte die Kopfhaut rosa. Unter den Augen hatte Schmocker dicke Säcke, die fast bis zu den Mundwinkeln reichten, und sie schienen mit Gift gefüllt zu sein.
    »Herr Schmocker«, sagte Studer freundlich und setzte sich auf den Bettrand, »könntet ihr mir sagen…«
    Weiter kam er nicht. Mit hoher Stimme kreischte der Mann: »Weit i-i-hr vo mym Bett achegaaa?«
    Gehorsam stand Studer auf. Man darf Verrückte nicht reizen, dachte er. Und dann wartete er, bis der kleine Mann sich abgeregt hatte.
    »Ich möcht gern wissen, Herr Schmocker, ob ihr den Schlüssel vom Nachtwärter Bohnenblust gefunden habt…«
    »Dr syt en verdammter, windiger Schroter, das syt dr. Und machet, daß dr zu myner Bude use chömmet. Dr heit da nüt z'sueche… Verschtande?«
    Und drohend stand Herr Schmocker auf, seine Kniekehlen faßten Stützpunkt am Bettrand.
    »Aber Herr Schmocker«, sagte Studer immer noch freundlich, bedenklich war vielleicht nur, daß er begann, Schriftdeutsch zu sprechen. Andere hatten die Bedeutung dieses Vorzeichens unangenehm empfinden müssen. »Ich möchte von Ihnen nur eine kleine Auskunft haben…«
    Doch der Bundesratsattentäter fluchte weiter. Seine kleine geballte Faust bewegte sich drohend vor Studers Nase, Schimpfworte drangen zwischen den weißlichen Lippen hervor, ein ganzer Sturzbach,

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