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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Patient Pieterlen wird auch ohne meine Hilfe wieder eingebracht werden…«
    Bei den letzten Worten blickte Studer auf und dem Arzte fest in die Augen. Dr. Laduner hatte sein Maskenlächeln aufgesetzt.
    »Warum brüskieren, Studer?« fragte er. Es sollte herzlich klingen, aber schwang da nicht ein anderer Ton mit? – »Wie mir gemeldet worden ist, haben Sie ja schon Vorzügliches geleistet: Sie haben aufklären können, auf welche Weise der Patient Pieterlen hat entweichen können, Sie haben den Direktor entdeckt… Aber es wird Ihnen nicht entgangen sein, daß noch etliche Unklarheiten bestehen: Ich habe erfahren, daß dem verstorbenen Direktor am Mittwochmorgen eine größere Summe ausbezahlt worden ist. Wohin ist diese Summe verschwunden? Die Taschen des Toten waren leer, daran werden Sie sich erinnern… wo ist das Geld hingekommen?… Hat Pieterlen den Direktor getroffen? Hat er ihn hinuntergestoßen? – Wissen Sie, die von mir inspirierte Zeitungsnotiz ist eine reine Beruhigungsmaßnahme, eine Tarnung, um ein heute viel gebrauchtes Wort zu verwenden. Aber was ist in Wirklichkeit geschehen?… Dies herauszufinden ist Ihre Sache, obwohl Sie keinen Ruhm ernten werden… Offiziell wird der Direktor immer einem Unglücksfall zum Opfer gefallen sein. Aber ich meine, es kann nichts schaden, wenn wir die Wahrheit entdecken… Denn die Wahrheit – Sie wissen, Studer, was ich meine – rein vom wissenschaftlichen Standpunkte aus wäre es von Interesse…«
    Am liebsten hätte Studer folgendes erwidert:
    ›Mein lieber Doktor, warum ist Ihre Rede nicht mehr geistreich und witzig? Sie verhaspeln sich ja! Sie sind unsicher! Was ist mit Ihnen los? Mann! Sie haben ja Angst!‹
    Aber von all dem sagte er nichts, denn er sah in Dr. Laduners Augen, sah, wie der Blick sich veränderte – zwar die Maske, das Lächeln, blieb –, aber nun war es kein unkontrollierbarer Eindruck, jetzt war es festzustellen, jetzt war es zum Greifen deutlich: Dr. Laduner hatte Angst! Jawohl, Angst!… Wovor? Man durfte nicht fragen…
    Den Wachtmeister Studer von der Fahndungspolizei überkam ein seltsames Gefühl. In seinem langen Leben war es ihm nie eingefallen, über seine Gefühlsregungen nachzudenken. Meist handelte er nach dem Instinkt oder dann nach den Prinzipien der Kriminologie, wie sie seine Lehrer in Lyon und in Graz festgelegt hatten. Aber jetzt versuchte er sich Rechenschaft zu geben über das Gefühl, das er diesem Dr. Laduner entgegenbrachte; und er stellte fest, daß es Mitleid war. Vielleicht war der Aufenthalt in einer Anstalt an dieser Klarheit schuld – denn beschäftigte man sich hier nicht ausschließlich mit den Regungen des Gefühls- und Seelenlebens? Färbte das nicht ab? Genug: er fühlte Mitleid; aber eine besondere Art Mitleid. Es ließ sich schwer in Worte fassen…
    Brüderliches Mitleid war es, das man zu dem sonderbaren Menschen Laduner fühlte, fast eine Liebe, am ehesten jener zu vergleichen, die ein älterer Bruder, der wenig Erfolg gehabt im Leben, für seinen Benjamin fühlt, der klüger ist und groß und berühmt. Eben deshalb aber ist er von Gefahren bedroht, die gebannt werden müssen…
    Vor allem, und das sollte man festhalten, hatte Dr. Laduner sicher Angst vor einem Skandal, denn ein Skandal würde seine Wahl zum Direktor vereiteln…
    Studer lächelte, sagte tröstend:
    »Also: die Wahrheit suchen… Gut, Herr Doktor… Die Wahrheit für
uns

    Und er betonte das ›uns‹.
    Es klopfte. Ein junges Mädchen meldete, der Pfleger Gilgen lasse fragen, ob er den Herrn Doktor sprechen könne… Sie habe ihn ins Arbeitszimmer geführt.
    »Gut«, sagte Laduner. Und er komme gleich.
    Dann blickte er einige Zeit in seine leere Tasse, als wolle er, wie eine Wahrsagerin, die Zukunft aus dem Kaffeesatz deuten, schließlich hob er wieder die Augen, sein Blick war ruhig. Und um seinen Mund lag der gleiche weiche Ausdruck wie am Abend zuvor, da er vom Demonstrationsobjekt Pieterlen gesprochen hatte…
    »Sie sind ein komischer Kerl, Studer«, sagte er. »Und Sie scheinen nicht vergessen zu haben, daß ich Ihnen Brot und Salz geboten habe…«
    »Vielleicht«, meinte Studer und blickte weg, denn er haßte gefühlvolles Gehaben. Darum begann er auch sogleich vom Pfleger Gilgen zu sprechen, der ihn gebeten hätte, beim Herrn Doktor ein gutes Wort für ihn einzulegen, da er entlassen werden solle…
    »Das kommt doch gar nicht in Frage!« sagte Laduner erstaunt. »Ist der Mann verrückt geworden? Mit dem Jutzeler ist

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