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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Narben entstellten Mund…
    Studer traf niemanden auf der Treppe. Als er auf den dünnen Sohlen seiner Lederpantoffeln den Hof überquerte, holte er einen Mann ein, der an einem Riemen eine Kontrolluhr trug, ähnlich die des Nachtwärters Bohnenblust. Studer fragte ihn: »Seid ihr der Nachtwärter, der die Runden macht?«
    Der Mann nickte eifrig. Er war groß, breit, dick. Nachtwache wirkte günstig auf den Fettansatz…
    »Habt ihr in der vorletzten Nacht, also in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag, bei der Runde um halb zwei etwas in der Ecke dort bemerkt?«
    Da räusperte sich der Mann, blickte Studer merkwürdig an, zögerte…
    – Er habe die Runde in jener Nacht etwas später gemacht, sagte er, einige Minuten nach zwei sei er dort vorbeigekomrnen. Und er habe wirklich zwei Männer gesehen, im Gang nämlich. Der eine sei Dr. Laduner gewesen, und der sei dem zweiten nachgesprungen, wenigstens habe es so ausgesehen… Aber wer der zweite gewesen sei, könne er beim besten Willen nicht sagen: aus dem Sous-sol führe nämlich eine Türe direkt ins Freie, das heißt in den Garten vom R. Durch diese Türe sei der zweite Mann verschwunden und Dr. Laduner hinter ihm her…
    Ob er schwören könne, daß es Dr. Laduner gewesen sei?
    – Schwören? Nein! Aber es sei seine Gestalt gewesen, sein Gang. Das Gesicht habe er nicht sehen können. Und ob der Wachtmeister meine, daß Dr. Laduner schuld sei am Tode des Herrn Direktors?
    Wenn Studer etwas haßte, so war es diese Art vertraulicher Neugierde. Darum fiel seine Antwort scharf aus:
    »I gloube gar nüt, verschtande?« und schuehnete davon.
    Der Himmel überzog sich. Der Sonnenstrahl auf den Tannenwipfeln und den zartseidenen Nebelfetzen war ein Trug gewesen…
    Studer war froh, ungesehen in Laduners Wohnung zu gelangen. Es war still im Gang. Alle schliefen noch, sogar das Baby, für dessen Lungen das Schreien so gesund sein sollte.
    Leise schlich der Wachtmeister ins Badezimmer, sachte öffnete er die Hahnen, ließ die Wanne vollaufen. Dann versperrte er die Tür, zog sich aus und legte sich ins heiße Wasser.
    Aber wenn er auf eine belebende Wirkung des Badens gehofft hatte, so hatte er sich schwer trompiert… Denn erst ein eindringliches Klopfen an der Türe weckte ihn… Dr. Laduners Stimme erkundigte sich, ob dem Wachtmeister etwas passiert sei.
    Studer antwortete mit teigiger Stimme, er sei im Bad eingeschlafen. Draußen hörte er Laduner lachen und seiner Frau die Neuigkeit erzählen…

Die Brieftasche
    Die gleiche, aus bunten Wollen gelismete Haube war über die Kaffeekanne gestülpt. Es war der gleiche Tisch, und auch die gleichen Leute saßen an ihm. Studer, am obern Ende des Tisches, hatte das Fenster im Rücken; zu seiner Linken saß Laduner und rechts von ihm die Frau des Arztes. Studer präsidierte also gewissermaßen, genau wie am gestrigen Morgen. Nur eben: die Stimmung war merklich anders…
    Die Sonne fehlte.
    Vor dem großen Fenster stand eine Wolkenwand, wie eine riesige Betonmauer. Graues Licht drang ins Zimmer, und Frau Laduners roter Schlafrock leuchtete nicht mehr.
    »Wie hat Ihnen der Wachsaal in blauer Nachtbeleuchtung gefallen, Studer?« fragte Laduner. Er las den ›Bund‹ und blickte nicht auf.
    Ausgezeichneter Nachrichtendienst! Sollte man parieren, indem man Herrn Dr. Laduner fragte, was er in der Sichlete-Nacht im Sous-sol bei der Heizung verloren hatte? Nein. Man ließ das besser sein und beschränkte sich auf die bescheidene Feststellung:
    – Ja, so ein Wachsaal bringe einen auf mancherlei Gedanken. »Wie ich die eingesperrten Leute gesehen habe, Herr Doktor, habe ich denken müssen, die Anstalt hocke wie eine riesige Spinne inmitten des Landes und die Fäden ihres Netzes reichten bis in die hintersten Dörfer… Im Netz, wissen Sie, zappeln die Angehörigen der Patienten… Und sie spinnt richtige Schicksalsfäden, die Spinne – ich meine die Anstalt – oder Matto, wenn Sie lieber wollen…«
    Laduner blickte von seiner Zeitung auf:
    »Sie sind ein Dichter, Studer. Ein heimlicher Dichter. Und das ist vielleicht ungünstig für den Beruf, den Sie nun einmal ausüben müssen. Wären Sie kein Dichter gewesen, hätten Sie sich der Wirklichkeit angepaßt, dann wäre Ihnen die Geschichte mit dem Obersten Caplaun nicht passiert… Aber eben, Sie sind ein poetischer Wachtmeister…«
    – Das habe er mängisch au deicht, sagte Studer trocken. Aber das Dichterische hänge doch mit der Einbildungskraft zusammen, mit der Phantasie,

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