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Matto regiert

Matto regiert

Titel: Matto regiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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gesehen, das wußte er…
    Also…
    Der Gilgen machte Augen wie ein geprügelter Hund. Studer sah weg, da fiel sein Blick auf den offenen Schaft. Ganz zuunterst, hinter den Schuhen, lag etwas Graues. Studer stand auf, bückte sich.
    Der Sandsack!
    Der Sandsack, der in der Form an einen riesigen Schüblig erinnerte.
    »Und das?« fragte Studer. – Ob Gilgen nun endlich auspacken wolle?
    – Aber Gilgen schwieg wieder, einmal fuhr er mit der flachen Hand über seine Glatze – seine Finger zitterten deutlich –, dann zuckte er mit den Achseln. Das Achselzucken konnte viel bedeuten.
    – Wo er in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag gewesen sei? – Hier in der Anstalt…
    Die Antwort wurde begleitet von einem müden Abwinken mit der Hand: ›Es hat ja alles keinen Wert!…‹
    »Ihr schlaft allein hier im Zimmer?«
    Nicken.
    »Habt ihr mit Pieterlen gesprochen, wie er draußen im Aufenthaltsraum geraucht hat?«
    Breitschultrig, mächtig stand Studer vor dem kleinen Mann.
    Gilgen blickte furchtsam auf.
    »Tüet mi nid plage, Wachtmeischter…« sagte er leise.
    – Dann müsse er ihn mitnehmen, sagte Studer. Und er solle sich vorher gut besinnen, die Anklage würde vielleicht nicht nur auf Diebstahl lauten, sondern auch auf Mord…
    Entsetztes Erstaunen!
    – Aber der Direktor sei doch verunfallt!
    – Das sei eben noch gar nicht gesagt.
    »Aufstehen!«
    Studer trat an den Mann heran, betastete ihn von oben bis unten, zog aus der einen Tasche das Portemonnaie heraus, den Schlüsselbund aus der anderen und überlegte dabei, wie die Verhaftung ohne allzu großes Aufsehen zu bewerkstelligen sei. Man konnte beim Portier dem Randlinger Landjäger telephonieren. Das würde das beste sein.
    »Schurz abziehen! Kittel anlegen!« befahl Studer. Das Weitere werde sich finden.
    Und folgsam ging Gilgen zum Schaft, zog den Kittel an, ohne seine Hemdärmel herabzustreifen… Ein armseliger Kittel war es, sicher hatte ihn die Frau geflickt, bevor sie krank geworden war…
    – Im Nachttischli, sagte Gilgen schüchtern, habe er noch die Photi von seiner Frau mit den beiden Kindern. Ob er die mitnehmen dürfe?
    Studer nickte. Der Nachttisch stand eingeklemmt zwischen Fenster und Bett. Gilgen ging um das Bett herum, nahm eine Brieftasche aus der Schublade, zog ein Bild daraus hervor, das er lange betrachtete und dann dem Wachtmeister über das Bett hinreichte.
    »Lueget, Studer…« sagte er. Der Wachtmeister nahm den Karton in die Hand, kehrte sich ab, um das Licht besser auf das Bild fallen zu lassen… Die Frau, die es darstellte, hatte ein mageres Gesicht mit einem gutmütigen Lächeln, an jeder Hand hielt sie ein Kind. Und während Studer noch die Photographie betrachtete, war es ihm plötzlich, als habe sich etwas im Zimmer verändert. Er sah sich um… Gilgen war verschwunden…
    Das offene Fenster! Studer stieß das Bett beiseite, beugte sich weit hinaus.
    Da unten lag der kleine Gilgen, fast in der gleichen Stellung, wie der alte Direktor, am Fuße der Eisenleiter. Kein Blut… Aber in der Sonne leuchtete der Kranz der kupferroten Haare… Der Hof war leer. Studer ging langsam zum Zimmer hinaus, durch den Glasabschluß, stieg durchs Stiegenhaus hinab, trat hinaus. Und dann hob er den Körper des kleinen Gilgen, – leicht war er – sachte vom Boden auf und stieg schweren Schrittes die Stiegen zum ersten Stock wieder hinauf…
    Im Zimmer angekommen, legte er die Leiche auf die rote Bettdecke und blieb dann vor ihr stehen… Und Studers Kopf war von einer dumpfen Wut erfüllt.
    Aber da schreckte der Wachtmeister auf. Ein schmalzige Stimme begann im Aufenthaltsraum zu singen, und sie sang:
    »Irgendwo auf der Welt fängt der Weg zum Himmel an,
Irgendwo, irgendwie, irgendwann…«
    Wer hielt ihn da zum besten?…
    Studer wußte nicht, daß der Portier Dreyer gerade in diesem Augenblick den großen Empfangsapparat eingeschaltet hatte, weil es vier Uhr war und es zu seinem Dienst gehörte, die Abteilungen der Anstalt Randlingen mit Radiomusik zu versorgen. Er hatte sich ein wenig verspätet, darum war er mitten in ein Lied geraten. Und so sang der Lautsprecher, oben an der Wand des Aufenthaltsraumes B, dem kleinen Gilgen ganz unschuldigerweise ein groteskes Sterbelied.
    Wie gesagt, Studer wußte nichts vom Ursprung des Liedes. Nur wild wurde er. Er trat in den Aufenthaltsraum, sah sich wütend um, suchte nach der Stimme, die ihn zu verhöhnen schien, und entdeckte schließlich den Kasten oben an der Wand. Gute drei Meter vom

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