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Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition)

Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition)

Titel: Max Weber: Ein Leben zwischen den Epochen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Kaube
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Exerzitien, die ihn nun nötigten, eine längere Pause zu machen. [269]
    Die Fragen, die in all diesen Texten aufgeworfen werden, kann man so umreißen: Weber denkt über die Unterschiede zwischen Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften nach, und zwar so, dass darüber ihre Einheit, nämlich Wissenschaften zu sein, nicht vergessen wird. Er orientiert sich dabei an der damals verbreiteten Unterscheidung zwischen Gesetzes- und Wirklichkeitswissenschaften. Heute könnte das als merkwürdige Begriffswahl erscheinen, denn auch die Physik, an die Weber denkt, wenn er von «Gesetzeswissenschaft» spricht, befasst sich ja mit Wirklichkeiten. Doch Weber unterstreicht, dass die strengen Naturwissenschaften durch quantitative und funktionale Betrachtung sowie das Abstrahieren von konkreten Qualitäten mit ganz «unwirklichen» Trägern von Kausalabläufen operieren: Sie interessieren sich nur für das Wesentliche an der Materie, für den typischen Blutkreislauf, für H 2 O und nicht für empirisches, also unreines Wasser, für die gegenüber allen anderen Einwirkungen isolierte Flugbahn eines Körpers. Weber versucht zu klären, ob sich die Sozialwissenschaft ihrerseits mit singulären Erscheinungen zu beschäftigen hat oder mit typischen. Strebt der Sozialwissenschaftler danach, Gesetzmäßigkeiten zu ermitteln? Aber wie könnten solche Gesetze aussehen in einer Welt, die man zugleich vom Handeln freier Akteure bestimmt sieht? Erscheint der freie Wille der Handelnden in der Geschichte für den Historiker als das Zufallsmoment des historischen Geschehens, weil er unberechenbar ist? Hier wird Weber, wie überhaupt mitunter in diesen Aufsätzen, schneidend: «Spezifische ‹Unberechenbarkeit›, gleich groß – aber nicht größer – wie diejenige ‹blinder Naturgewalten›, ist das Privileg des – Verrückten.» [270] Er fragt, was eine «gesetzmäßige Entwicklung» im sozialen Wandel sein könne, welche Voraussetzungen ein historischer Vergleich, beispielsweise unterschiedlicher politischer Akteure oder unterschiedlicher Zivilisationen, hat und welche Vorgänge überhaupt «historisch» zu nennen sind.
    Alles philosophisch sehr interessante, lohnende Fragen, und tatsächlich widmet sich Weber in der Folgezeit verstärkt seinen philosophischen Lektüren. Aber wer daraus schlösse, diese Probleme hätten für ihn einen hohen Reiz in sich gehabt, ahnt nicht, wie sie von Weber behandelt werden. Nämlich quälend. Es gibt in «Roscher und Knies» einen Satz mit zehn Substantiven, der fünf Fußnoten hat! Wir zitieren einen anderen aus einer etwas späteren methodologischen Schrift, den man einem Mitmenschen laut vortragen möge, um zu verstehen, wie Weber denkt und wie er zuweilen schrieb und an wen er dabei ganz gewiss nicht dachte: an den Leser. Worum es in diesem Satz geht, ist ganz nebensächlich, man überlasse sich nur seiner Länge:
    «In der Hauptsache richtig geschieden wird dann auch 1 . dieser kausale Begriff des ‹Zufalls› (der sog. ‹relative Zufall›): – der ‹zufällige› Erfolg steht hier im Gegensatz zu einem solchen, welcher nach denjenigen kausalen Komponenten eines Ereignisses, die wir zu einer begrifflichen Einheit zusammengefaßt haben, zu ‹erwarten› war, das ‹Zufällige› ist das aus jenen allein in Betracht gezogenen Bedingungen nach allgemeinen Regeln des Geschehens nicht kausal Ableitbare, sondern durch Hinzutritt einer ‹außerhalb› ihrer liegenden Bedingung Verursachte (S.  17 – 19 ), – von 2 . dem davon verschiedenen teleologischen Begriff des ‹Zufälligen›, dessen Gegensatz das ‹Wesentliche› ist, sei es, daß es sich um die zu Erkenntniszwecken vorgenommene Bildung eines Begriffes unter Ausscheidung der für die Erkenntnis ‹unwesentlichen› (‹zufälligen›, ‹individuellen›) Bestandteile der Wirklichkeit handelt, sei es, daß eine Beurteilung gewisser realer oder gedachter Objekte als ‹Mittel› zu einem ‹Zweck› vorgenommen wird, wobei dann gewisse Eigenschaften als ‹Mittel› allein praktisch relevant, die übrigen praktisch ‹gleichgültig› werden (S.  20 bis 21 ).» [271]
    Wie also erklärt sich dieser Neubeginn, mit derlei abstrakten, komplizierten und von Weber nicht gerade vereinfacht dargelegten Fragen? Gewiss, Weber war um jenen Beitrag über Wilhelm Roscher und seinen eigenen Lehrer und Lehrstuhlvorgänger, Karl Knies, für eine Festschrift gebeten worden. Den Abgabetermin dafür verpasst er aber über der «verfl… Arbeit», wie

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