Max Weber (German Edition)
Riga.
Auf der Rückfahrt von einer Spanienreise, die Max und Marianne Weber gegen Ende des Sommersemesters 1897, in das zudem die Beerdigung des Vaters in Charlottenburg gefallen war, unternommen hatten, zeigten sich bei Max Weber zunehmende Zeichen von Reizbarkeit, Rastlosigkeit, nervöser Erschöpfung und gefühlter Bedrohung. Noch 2. Jahre später schien der Biographin Marianne Weber zu schaudern, wenn sie daran zurückdachte, was ihrem Mann in jenem Spätsommer geschah: «Da – an dem mit Arbeit überhäuften Semesterschluß streckt aus den bewußtlosen Untergründen des Lebens ein böses Etwas seine Krallen nach ihm aus.» Dieses «böse Etwas» meldete sich im Herbst desselben Jahres mit aller Macht, mit Anzeichen einer vollkommenen psychischen und physischen Erschöpfung. Die Symptome waren körperliche Schwäche, Schlaflosigkeit, innere Spannungen, Gewissensbisse, Erschöpfung, Angstzustände, anhaltende Unruhe. «Alles und jedes ist zu viel: Er kann ohne Qualen weder lesen noch schreiben, noch reden, noch gehen und schlafen», berichtete Marianne Weber über diese Zeit. Das folgende Jahr wurde, nach leichter Besserung, mit tagespolitischen Aktivitäten eingeleitet. Die Lehrtätigkeit fiel Weber allerdings unverändert schwer, im Frühjahr, zu Semesterschluss, erlitt er einen schweren nervlichen Zusammenbruch. Vor dem anschließenden Sommersemester brachte eine Erholungsreise zum Genfer See etwas Besserung, danach verlebte er den Sommer in einem Sanatorium am Bodensee. Das Lehren im folgenden Wintersemester wurde ihm zur Qual, zu Weihnachten hatte er einen erneuten Zusammenbruch und beendete nur mühsam das Semester.
Es ist viel geschrieben worden über diese Zäsur im Leben von Max Weber. Im heutigen Sprachgebrauch würde man von einem «Burn-out» sprechen. Klinisch formuliert, scheint es vertretbar zu sein, von einer schweren Depression zu sprechen, von einer manisch-depressiven Psychose («bipolaren Störung»), in jedem Fall einer schweren seelischen Erkrankung, die seine psychische und physische Reaktion auf ein Leiden an vielem war, das im Einzelnen aufzuschlüsseln hier nicht der Ort ist. Wie sehr seine Erkrankung Max Weber bis an den Rand seines eigenen Lebenswillens geführt hatte, lässt sich seinem Kondolenzschreiben an Bertha Tobler, die Witwe von Ludwig Tobler, dem Bruder von Mina Tobler – seiner späteren Geliebten –, entnehmen. In ihm eröffnete Max Weber im Juni 1915 einen Einblick in seinen Gemütszustand während seiner akuten Krankheitsphase: «Als junger Mensch habe ich mir nichts so sehnlich gewünscht als den Tod mitten in voller Manneskraft, ohne daß Schwäche oder Krankheit mir vorher das Bild des Lebens gestört hätten. Als ich aber, noch einige Jahre jünger als Ihr Mann, für immer Abschied zu nehmen hatte von der Welt der Gesunden – sie ist von der ‹unsrigen› getrennt durch eine nur uns sichtbare, aber immer vorhandene Kluft, über welche wohl eine Freundeshand reicht, die aber kein Fuß zu überschreiten vermag – hatte sich manches geändert. Ich weiß nicht, ob in meinem damaligen Zustand allein der Gedanke an die mir Nahestehenden stark genug gewesen wäre, mich von freiwilligem Scheiden abzuhalten. Entscheidend war, wie ich glaube, noch so wenig innerlich einheitlich und fertig zu sein, so sehr ein Suchender, mit sich selbst nicht Einverstandener, nicht zu seiner Vollendung Gelangter, daß das Leben mir darin noch etwas schuldig sei, auf das ich nicht verzichten vermöchte.»
Unstrittig ist, dass der 33-jährige Universitätsprofessor Max Weber schwer erkrankt war und dass er sich bis an sein Lebensende nie vollkommen erholte. Ein direkter Einfluss der Krankheit auf Webers Denken jedoch ist nicht festzustellen: Von 1889 bis zu seinem Tode publizierte er jedes Jahr, mit der einzigen Ausnahme des Jahres 1901. Allein der Umfang der Arbeiten, die Weber in den Jahren 1911 bis 1913 geschrieben hat – zusätzlich zu seinen geradezu überbordenden Briefwechseln –, widerlegt die Behauptung von einer Blockade der Produktivität Webers nach seiner Erkrankung.
Diese übte jedoch eine entscheidende Rolle für die berufliche Karriere Max Webers aus, die sie de facto für die folgenden 2. Jahre beendete. So ließ er sich für das Sommersemester 1899 aus gesundheitlichen Gründen von der Universitätslehre dispensieren; als er im Herbst des gleichen Jahres die Lehrtätigkeit wieder aufzunehmen versuchte, kam es zu einem erneuten, dem bis dahin schwersten
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