Max Weber (German Edition)
schlafenden Katholiken» – aus dem Mund eines Mannes, der wahrscheinlich nichts dringender brauchte als ruhigen Schlaf – kann man die tiefe Sehnsucht nach einem leichteren Umgang mit Schuld und der Aussicht auf Absolution heraushören. Angesichts der Erziehung, die ihm seine vom französischen Hugenottentum geprägte Mutter hatte angedeihen lassen, erschien ihm jene Pforte versperrt, die er für die Katholiken so erbarmungsvoll geöffnet glaubte: Vom menschlichen Auf und Ab von Sünde, Reue, Buße, Vergebung, neuer Sünde oder einem durch Strafen abzubüßenden, durch kirchliche Gnadenmittel zu begleichenden Saldo des Gesamtlebens war bei Weber und seiner Erziehung keine Rede gewesen. Endlich wegzukommen von beständig wacher Selbstkontrolle und den sich daraus ergebenden Schuldvorwürfen wegen seines beruflichen Versagens war für den depressiven Weber während seiner römischen Monate gewiss eine große Verheißung.
Damit soll nicht behauptet werden, dass sämtliche Grundideen, die hinter den Studien zur Kulturbedeutung des Protestantismus stehen, in Rom gefasst worden seien. Bereits vor der Jahrhundertwende hatte Max Weber begonnen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es Zusammenhänge zwischen dem heraufziehenden Kapitalismus und dem Protestantismus gebe. Zudem war er nicht der einzige Wissenschaftler, der dieser Fragestellung nachging: Genannt seien hier nur seine prominenten Kollegen Lujo Brentano und Gustav Schmoller und seine beiden persönlichen Bekannten Werner Sombart und Ernst Troeltsch. Webers Studien zur Kulturbedeutung des Protestantismus jedoch wurden die populärsten Arbeiten zu diesem Thema – zu seiner Zeit bis in unsere Tage. Er arbeitete an der Abhandlung über die protestantische Ethik vor seiner Reise in die Vereinigten Staaten im Sommer 1904 und nach seiner Rückkehr von dort und veröffentlichte seine Artikel 1904/1905 im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik; im Jahr darauf erschienen zwei Fassungen seines Artikels über die protestantischen Sekten. Unmittelbar nach ihrer Publikation erregten diese Arbeiten großes Aufsehen und führten zu einer Kette von Reaktionen, auf die Max Weber teilweise mit «Repliken» reagierte. Diese Auseinandersetzungen, bei denen Weber wiederkehrende «Missverständnisse» und unsinnige Unterstellungen zu erkennen glaubte, dauerten über fünf Jahre. Insbesondere nach den Veröffentlichungen seines Freundes Ernst Troeltsch über dieses Thema wandte Weber sich der generellen Problemstellung der Beziehungen zwischen Religion, Wirtschaft und Gesellschaft im interkulturellen Vergleich zu. Hieraus entstanden seine großen Studien zu den Weltreligionen Chinas (Konfuzianismus, Taoismus), Indiens (Hinduismus, Buddhismus, Jainismus) und des antiken Judentums sowie zum Islam, die in den einschlägigen Bänden zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen publiziert sind.
Der erste Artikel über Die Protestantische Ethik und der «Geist» des Kapitalismus diente der Präzisierung der Problemstellung. Weber ging von einer Studie über die konfessionelle Berufsschichtung im katholisch geprägten Großherzogtum Baden aus, deren Ergebnis eine im Vergleich zu Katholiken überproportionale Beteiligung von Protestanten bei Kapitalbesitzern, Unternehmern und dem höher qualifizierten technischen oder kaufmännischen Personal moderner Wirtschaftsunternehmen war. Durch Miteinbeziehung ähnlicher Studien über die reichen europäischen Städte des 16. Jahrhunderts formulierte Max Weber seine erste Frage nach den Gründen für eine «besonders starke Prädisposition» ebendieser Gemeinwesen für die Reformation. Mit Blick auf Genf, Schottland, England, die Niederlande und Neuengland postulierte Weber eine «anerzogene geistige Eigenart», eine «spezifische Neigung», eine «innere Eigenart» der Protestanten zum «ökonomischen Rationalismus». Weber betonte, dass es bei dem Versuch, eine solche «innere Verwandtschaft» zu erforschen, es die Aufgabe des Wissenschaftlers sei, aus «der unausschöpfbaren Mannigfaltigkeit, die in jeder historischen Erscheinung steckt», jene charakteristische Eigenart und die Unterschiede jener religiösen Gedankenwelt herauszuarbeiten, die in den verschiedenen Ausprägungen der christlichen Religion liegen. Darum müsse das Konzept vom «Geist» des Kapitalismus präziser bestimmt werden: «Wenn überhaupt ein Objekt auffindbar ist, für welches der Verwendung jener Bezeichnung irgendein Sinn zukommen kann, so kann es nur ein
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