Maya und der Mammutstein
befolgen.«
Er hielt inne und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, sammelte seine Gedanken und all seine List für die nächsten Worte. Dies war schließlich der Kern des Problems - Geist mußte für die bevorstehende Aufgabe verpflichtet werden, ohne deren wahre Natur zu kennen - zum Schütze des Volkes, zu ihrem Schutz.
Das Überleben jedes einzelnen hing davon ab. Einen Moment lang verzagte er vor den gigantischen Ausmaßen dessen, was er tun mußte, doch dann bündelte er, wie es alle Schamanen vor ihm getan hatten, die besonderen Kräfte, die ihn zu dem machten, was er war, und sagte:
»Geist. Die Große Wanderung ist vorüber.«
Geist erschauerte bei diesen Worten. »Was?« Alter Zauber nickte. »Ich habe mit den Geistern des Grünen Tals gesprochen. Und ich habe das Zeichen gesehen, das die Große Mutter selbst uns verheißen hat. Die Wanderschaft des Volkes ist zu Ende. Wir sind zu Hause, Geist. Das Volk ist endlich heimgekommen!«
Alte Beere stapfte erschöpft zu den Frauen hinüber, die sich um das Schutzzelt, in dem Baums Leiche lag, versammelt hatten. Wortlos drückte sie den gewickelten neugeborenen Jungen in Blatts Arme. »Wir werden eine Mutter für ihn finden müssen«, erklärte sie der anderen Frau. »Blüte, denke ich. Was hältst du davon?«
Blatt nickte. Blüte, eine von Steins Frauen, erwartete selbst ein Kind, und ihre Brüste waren bereits prall mit Milch gefüllt. »Ich werde es ihr sagen«, meinte Blatt. »Was ist mit... dem anderen?«
Alte Beere zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht«, gab sie zur Antwort.
»Ich denke, Alter Zauber wird es uns mitteilen, sich aber wie üblich viel Zeit nehmen.« Sie gab sich nicht damit ab, das Tun der Geister auf dieser Welt zu entschlüsseln zu versuchen. Das war die Pflicht des Schamanen, die sie ihm nicht neidete. Ohnehin hatte sie Dringlicheres im Sinn. »Ist sie bereit?« fragte sie.
Blatt nickte und trat beiseite. Tief seufzend quälte Alte Beere ihre alten Knochen damit, sie dorthin zu tragen, wohin man Baum gebettet hatte.
Baum lag völlig still auf ihrem Lager aus Fell. Die jüngeren Frauen hatten bereits die blutigen Spuren von Kreißen und Tod beseitigt, so daß die junge Frau erstaunlicherweise wie lebendig aussah. Ihr Geist jedoch hatte sich vom Körper getrennt, obwohl Alte Beere wußte, daß er ganz in der Nähe blieb und auch bleiben würde, bis Alter Zauber ihn freisetzen würde, wenn er ihn zur Großen Mutter heimsang.
Sie untersuchte die Leiche, um sicherzustellen, daß die Mäd chen ihre Aufgabe richtig erledigt hatten. Die Felle waren frisch und sauber; nichts war mehr von der Nachgeburt oder von dem vielen Blut übrig, nichts, um den Geist an diese Welt zu fesseln. Alte Beere nickte zufrieden.
»Bedeckt sie«, ordnete sie an. »Ich werde mich eigenhändig um die Binden kümmern.« Es war von großer Wichtigkeit, daß die Lederriemen, die die Pelzlappen zusammenhielten, richtig geknotet waren, damit der Körper nicht versuchte, den Flammen zu entkommen und dem Geist nach Hause zu folgen.
Ein schwaches Greinen drang an ihre Ohren. Sie lächelte. Der Junge war ein kräftiges Kind, gut gebaut und hungrig. Das alles waren gute Zeichen.
Sie blickte hinab. Es war schade um Baum, aber solche Dinge geschahen.
Wenn es nicht das seltsame kleine Mädchen gäbe, hätte Alte Beere sogar eine eigenartige Zufriedenheit angesichts des ausgewogenen Verhältnisses empfunden: ein Leben gegen ein anderes, um das umfassendere Leben des Volkes zu gewähren.
Doch so, wie die Dinge nun lagen, fragte sie sich mit bangem Herzen, was geschehen würde. So vieles war vorgefallen: Baums Tod, die Geburten, und, das Wichtigste von allem, die Entdeckung des Grünen Tals. Alter Zauber hatte gesagt, daß er Neuigkeiten brachte, daß er mit den Geistern dort gesprochen hatte. Und was immer auch geschehen sollte, am Ende würde es den Willen der Großen Mutter erfüllen.
Wie immer.
Blüte, ein kleingewachsenes Mädchen mit merkwürdig flachem Gesicht, trat schüchtern vor den Kreis der Männer hin, die sich rund um zwei große Feuerstellen niedergelassen hatten.
Ihre rechte Brust war entblößt, als sie sich zwischen Haut und Stein kniete. Haut stemmte sich auf seine Ellbogen hoch, um genauer hinzusehen, und ein breites Lächeln erhellte sein Gesicht.
»Sieh«, sagte Blüte. »Er saugt gierig. Er ist sehr hungrig.«
Haut nickte. Und in der Tat klebte der kleine Junge, dessen winzige Äuglein fest geschlossen waren, an Blutes Brustwarze, als
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