Mayabrut (German Edition)
drängte sich ihm der Gedanke auf, dass der grün leuchtende Einarmige wirklich ein Methusalem gewesen sein könnte. Dann wäre sein Tod auch ein Verbrechen an der gesamten Menschheit.
Chola hatte die Lichtquelle erreicht und schrie: „Vidal, hier ist Licht – Tageslicht.“
Schritt für Schritt schlurfte er auf sie zu. Seltsamerweise kamen ihm dabei Verse eines Shakespeare-Sonetts in den Sinn: „… die Zeit zerstört, was sie ans Licht gebar. Und nichts als Asche lässt sie von den Gluten …“
Schon kurz bevor er Chola erreicht hatte, sah er nicht nur, dass dort ein Weg nach außen führen musste, er roch und fühlte es – Zugluft. Ein frischer, würziger Duft wehte ihm entgegen und wurde wie in einem Kamin nach oben gesaugt. Der Luftstrom würde das Giftgas zurückdrängen! Erleichtert atmete er tief durch. Und noch etwas anderes erregte ihn, die steinerne Wand v or ihm war kein natürliches Hindernis – sie war von Menschenhand errichtet, und dies konnte nur eines bedeuten, sie waren auf dem richtigen Weg - auf dem Weg in die Freiheit.
Er riss den Helm herunter und benutzte ihn als Schaufel. Fieberhaft schaufelte er den grauen Staub zur Seite, während Chola ihn mit ihren Armen weiterschob. Wie zwei Erdmännchen buddelten sie und wie Wasser rann die feine Asche durch ihre Hände. Dann hatten sie den Spalt so weit verbreitert, dass sie durchkriechen konnten. Er kroch vorsichtig bis zum Rand und spähte in den dahinter liegenden Hohlraum, dessen Konturen im schwachen Tageslicht verschwammen. Der Boden war nicht mehr als einen Meter von ihnen entfernt. Ächzend zwängte er sich durch die Lücke, dann half er Chola beim Durchstieg.
Erschöpft sackten sie zusammen. Nach einer Weile nahm er den Helm und leuchtete den Raum aus. Eine seltsame Säule, die zertrümmert am Boden lag, erregte sein Interesse. Vorsichtig näherte er sich dem eigenartigen Gebilde. Ein Smaragdkristall von ungeheuren Ausmaßen lag vor ihm zersplittert am Boden. Der Alte hatte also nicht gelogen, sondern tatsächlich den Bericht seiner Ahnen überliefert. Er kniete sich nieder und griff nach einem Bruchstück. Doch als er es berührte, zerbröselte es zu grünem Staub.
Als Geologe erkannte er die Ursache dieser Zerstörungen. Am Boden zog sich eine dunkle Brandspur entlang, die nur von dem Benzinmeer aus dem Schacht stammen konnte. Langsam begriff er. Zuerst hatte das Feuer die Gasflaschen in rasende Geschosse verwandelt, die die Mauer zerstört hatten, worauf sich eine brennende Hölle in den Hohlraum ergoss. Die durch die Hitze im Smaragdkristall erzeugten Spannungen hatten Mikrorisse erzeugt, die das gesplitterte Mineral bei der sanftesten Berührung zu Staub zerfallen ließen. Chola war zu ihm herangetreten und fragte erstaunt: „Vidal, was ist das?“
„Das ist der riesige Smaragdkristall, von dem Akälajaw uns immer erzählt hat.“
„Nein, das Schwarze da drunter, das wie eine Baumwurzel aussieht.“ Aufgeregt zeigte Chola ans Ende der Steintrümmer.
Er folgte ihrem Blick, dann stürzte er zur angegebenen Stelle. Hastig beseitigte er die Kristalltrümmer, die das merkwürdige Gebilde bedeckten; und dann erstarrte er. Vor ihm lag ein verkohlter rechter Arm – Akälajaws Arm. Andächtig sank er auf die Knie. Wieder und wieder flüsterte er diesen Namen und Tränen liefen über sein Gesicht, zogen rosa Bahnen in die graue Asche auf seiner Haut.
Sutin stand neben einem Chinook, der mit einem grün-braunen Camouflage-Anstrich versehen war, und überwachte das Anbringen der Sprengsätze in Camp eins. Er würde keinerlei Spuren hinterlassen, keinen Hinweis auf den Sensationsfund jenseits der Berge. Dieser Organismus, den sie dieser stinkenden Hölle entrissen hatten, ähnelte dem Stein der Weisen – er würde ihm unvorstellbaren Reichtum bescheren. Und dann könnte er endlich auch die Feinde Amerikas wirksam unterstützen, damit sie diesem Land ein vielfaches Hiroshima bescherten.
Die sensationelle Entdeckung seines Bruders Roman würde ihm dazu die nötigen Geldmittel verschaffen. Denn Roman, der als einer der führenden Forscher Russlands auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin galt, hatte aus dem Schimmelpilz ein weiteres Wundermittel isoliert. Dieser völlig neuartige Stoff würde sein Forschungsgebiet nicht nur revolutionieren, sondern er wies auch einen Weg zum ewigen Leben, wenn man skrupellos genug war. Und er, Ruslan Sutin, würde als neuer Methusalem in die Menschheitsgeschichte eingehen, und zwar ohne
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