Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
andere glauben standhaft, die Caleuche, das Geisterschiff, habe ihn mitgenommen, was bedeutet, wir werden nicht mal seine Baseballkappe finden.
Die Polizisten befragten die beiden Kinder auf der Wache in Anwesenheit von Liliana Treviño und Aurelio Ñancupel, die sicherstellen wollten, dass man die beiden nicht einschüchterte, und im Hof warteten ein Dutzend Inselbewohner auf das Ergebnis, allen voran Eduvigis Corrales, dieaus der tiefen Niedergeschlagenheit herausgefunden hat, in die sie nach der Abtreibung von Azucena geraten war, die Trauerkleidung abgelegt hat und kämpferisch geworden ist. Die beiden Jungs konnten dem, was sie zu Anfang ausgesagt hatten, nichts hinzufügen. Der Polizist Laurencio Cárcamo kam zu mir ins Krankenhaus und befragte mich zu den Umständen des Absturzes, ließ die Fotografie aber unerwähnt, durch die sich der Unfall verkompliziert hätte. Seine Befragung fand zwei Tage nach dem Unfall statt, und in der Zwischenzeit hatte Manuel mir eingeschärft, was ich sagen sollte: ich sei durch die Hirnprellung verwirrt und erinnerte mich an nichts. Aber ich musste nicht mal lügen, denn der Polizist fragte nicht danach, ob ich den angeblichen Touristen gekannt hatte, sondern interessierte sich ausschließlich für die örtlichen Gegebenheiten und den Absturz wegen dieses Sicherheitsgeländers, das er jetzt seit fünf Jahren beantragt. »Als Diener des Vaterlandes hat man seine Vorgesetzten über die Gefährlichkeit besagter Klippe in Kenntnis gesetzt, aber so ist das, Gnädigste, erst muss ein unschuldiger Auswärtiger sterben, ehe man gehört wird.«
Manuel sagt, das Dorf werde geschlossen jede Spur verwischen und alles unter den Teppich kehren, um die Kinder und mich vor möglichen Verdächtigungen zu bewahren. Es wäre nicht das erste Mal, dass man hier bei der Wahl zwischen der schmucklosen Wahrheit, von der bisweilen niemand etwas hat, und einem diskreten Schweigen, das den eigenen Leuten hilft, das Schweigen wählt.
Unter vier Augen schilderte ich Manuel meine Version des Geschehenen, auch meinen Zweikampf mit Arana und dass ich mich überhaupt nicht daran erinnere, mit ihm zusammen abgestürzt zu sein; mir kommt es eher vor, als wären wir weit entfernt von der Kante gewesen. Ich habe alles tausendmal vor meinem inneren Auge ablaufen lassen und begreife nicht, wie das passieren konnte. Nachdem er michniedergeschlagen hatte, mag Arana zu dem Schluss gelangt sein, dass ich die Platten nicht habe, und wollte mich beseitigen, weil ich zu viel wusste. Also zerrte er mich zu der Klippe, aber ich bin kein Leichtgewicht, und bei der Anstrengung verlor er den Halt, oder vielleicht hat Fákin ihn auch von hinten angegriffen, und er ist zusammen mit mir gefallen. Sein Tritt hat den Hund kurz außer Gefecht gesetzt, aber er muss rasch wieder zu sich gekommen sein, denn wir wissen, dass die Kinder durch sein Gebell angelockt wurden. Ohne Aranas Leiche, die vielleicht ein paar Hinweise geben könnte, oder die Aussage der Jungs, die aber zum Schweigen entschlossen scheinen, wird es keine Antwort auf diese Fragen geben. Ich begreife auch nicht, wieso das Meer nur Arana mitgerissen hat, wenn wir doch beide an derselben Stelle lagen, aber es mag sein, dass ich die Kraft der Meeresströmungen in Chiloé unterschätze.
»Meinst du nicht, die Kinder haben etwas damit zu tun, Manuel?«
»Wie bitte?«
»Vielleicht haben sie Aranas Leiche ins Wasser geschoben, damit sie weggespült wird.«
»Warum sollten sie das tun?«
»Weil sie ihn vielleicht selbst runtergestoßen haben, als sie sahen, dass er mich umbringen will?«
»Daran darfst du nicht mal denken, Maya, und sag es nicht noch einmal, auch nicht im Scherz, das könnte Juanitos und Pedros Leben zerstören. Willst du das?«
»Natürlich nicht, Manuel, aber es wäre doch gut, die Wahrheit zu wissen.«
»Die Wahrheit ist, dass dein Pop dich vor Arana bewahrt hat und davor, auf den Felsen zu landen. Das ist die Erklärung, und dabei solltest du es belassen.«
Die Leiche wird schon seit Tagen von Küstenwacht und Marine gesucht. Man hat Hubschrauber und Boote geschickt, hat Netze ausgeworfen und zwei Taucher auf denMeeresboden abgelassen, die den Toten nicht gefunden haben, dafür aber ein mit Muscheln zugewachsenes Motorrad Baujahr 1930, das aussieht wie eine surrealistische Skulptur und das Prunkstück in unserem Inselmuseum wird. Humilde Garay ist mit Livingston die gesamte Küste abgelaufen, ohne eine Spur des verunglückten Touristen zu finden.
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