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McCreadys Doppelspiel

McCreadys Doppelspiel

Titel: McCreadys Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Herrmann am Mittwochnachmittag durchgelesen hatte. Ludmilla Wanawskaja gab einen bewundernden Ton von sich. Wolf lächelte.
    Wenn Markus Wolf in der Welt der Spionage eine Spezialität hatte, war es nicht so sehr das Bestechen und >Umdrehen< hochrangiger Amtsträger in der BRD - allerdings ließ sich viel manchmal dadurch erreichen, daß man spröde, unverheiratete, auf Herz und Nieren geprüfte Sekretärinnen von untadeligem Lebenswandel in den Büros solcher hohen Tiere platzierte. Er wußte, daß eine Sekretärin, die das Vertrauen ihres Chefs genoß, alles sah, was auf dessen Schreibtisch kam, und zuweilen noch mehr.
    Im Laufe der Jahre war die Bundesrepublik von einer Reihe von Skandalen erschüttert worden, als Privatsekretärinnen von hohen Beamten und Chefs von Rüstungsfirmen entweder vom BfV verhaftet wurden oder sich in die DDR absetzten. Eines Tages würde er Frl. Erdmute Keppel aus ihrem Wirkungskreis in der Kölner BND- Außenstelle zurück in ihre geliebte DDR holen. Bis dahin würde sie wie gewohnt eine Stunde vor Dieter Aust im Büro eintreffen und alles, was von Interesse war, kopieren, die Personalakten sämtlicher Mitarbeiter eingeschlossen. Im Sommer würde sie auch weiterhin mittags in dem ruhigen Park mit pedantischer Präzision ihre belegten Brote verzehren, die Tauben mit ein paar übriggebliebenen Krümeln füttern und zuletzt das Einwickelpapier in eine Mülltonne stecken, die in der Nähe stand. Ein paar Augenblicke später zog es ein Mann heraus, der seinen Hund in der Anlage spazieren führte. Im Winter würde sie ihr Mittagessen wie gewohnt in einem Café einnehmen und beim Hinausgehen ihre Zeitung im Abfallkorb neben dem Eingang deponieren, aus dem sie ein Passant, der >zufällig< vorüberkam, herausholen würde.
    Wenn sie in die DDR übersiedelte, konnte Frl. Keppel mit einem Staatsempfang und einer persönlichen Begrüßung durch den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, oder vielleicht sogar durch Erich Honecker höchstselbst, einem Orden, einer Staatspension und einem behaglichen Zuhause an den Fürstenwalder Seen rechnen, wo sie her war.
    Natürlich besaß nicht einmal Markus Wolf die Begabung, in die Zukunft zu blicken. Er konnte nicht wissen, daß schon 1990 die DDR nicht mehr existieren würde, Mielke und Honecker wegen zahlreicher Vergehen, die juristisch nicht leicht zu fassen waren, zur Verantwortung gezogen werden sollten. Er konnte nicht ahnen, daß er selbst 1990 als Pensionär für ein ansehnliches Honorar seine Memoiren schreiben oder daß Erdmute Keppel die nächsten Jahre in Westdeutschland verbringen würde, eingeschlossen an einem Ort, der entschieden weniger gemütlich war als die ihr zugesagte Wohnung in Fürstenwalde.
    Majorin Wanawskaja blickte hoch.
    »Er hat eine Schwester«, sagte sie.
    »Ja«, sagte Wolf. »Sie denken, daß sie etwas wissen könnte?«
    »Es ist eine ganz schwache Chance«, sagte die Russin. »Wenn ich sie aufsuchen könnte.«
    »Wenn Sie von Ihren Vorgesetzten die Erlaubnis dafür bekommen«, soufflierte ihr Wolf sanft. »Sie arbeiten leider nicht für mich.«
    »Aber wenn ich die Genehmigung erhielte, würde ich eine Deckgeschichte brauchen. Nicht Russin oder Ostdeutsche.«
    »Ich habe ein paar >Legenden<, die jederzeit benutzt werden können. Selbstverständlich. Es gehört ja zu unserem sonderbaren Metier.«
    Um 10.00 Uhr startete vom Flughafen Berlin-Schönefeld eine LOT 104 der polnischen Fluggesellschaft nach einer Zwischenlandung zum Weiterflug. Sie wurde zehn Minuten lang festgehalten, damit Ludmilla Wanawskaja noch an Bord gehen konnte. Wie Wolf festgestellt hatte, war ihr Deutsch passabel, aber nicht gut genug. In London würde sie nicht vielen Menschen begegnen, die Polnisch sprachen. Sie hatte die Papiere einer polnischen Lehrerin, die eine Verwandte besuchen wollte. In Polen herrschte ein viel liberaleres Regime.
    Die polnische Verkehrsmaschine landete um elf Uhr, mit einer Stunde Gewinn wegen des Zeitunterschieds. Majorin Wanawskaja passierte innerhalb einer halben Stunde Paß- und Zollkontrolle, machte aus einer öffentlichen Telefonzelle in der Wartehalle des Terminal 2 zwei Anrufe und nahm dann ein Taxi nach Primrose Hill, einem Londoner Stadtteil.
    Um die Mittagsstunde trillerte das Telefon auf Sam McCreadys Schreibtisch. Er hatte gerade erst mit Cheltenham telefoniert und erfahren, daß sich noch immer nichts ergeben habe. Achtundvierzig Stunden, und Morenz war nach wie vor flüchtig. Der Anrufer, der sich jetzt

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