McCreadys Doppelspiel
meldete, war der Mann von der NATO-Abteilung.
»Im >Kuriersack< am Vormittag ist eine kurze Nachricht gekommen«, sagte er. »Vielleicht besagt sie nichts; in diesem Fall werfen Sie sie weg. Ich schicke sie Ihnen auf alle Fälle mit einem Boten hinauf.«
Fünf Minuten später war die Kopie da. Als er sie und die Zeitangabe darauf sah, stieß McCready einen lauten Fluch aus.
Die in der Welt der Geheimdienste gültige Regel, nur ein Minimum an Informationen weiterzugeben, funktioniert normalerweise ausgezeichnet. Diejenigen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben von einer bestimmten Sache nicht zu wissen brauchen, erfahren auch nichts davon. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß im Fall eines Lecks, ob durch bewußtes Handeln oder durch sorgloses Geplauder, der Schaden einigermaßen begrenzt bleibt. Hin und wieder allerdings geht es andersherum: Eine Information, die den Gang der Dinge vielleicht verändert hätte, wird nicht weitergegeben, weil niemand es für notwendig hält.
Die Horchstation im Harz und die Lauscher in Cheltenham, die den ostdeutschen Funkverkehr abhörten, waren angewiesen worden, alles, was sie herausbekamen, unverzüglich an McCready weiterzumelden. Insbesondere sollten die Namen >Grauber< oder >Morenz< eine sofortige Weitergabe bewirken. Niemand hatte daran gedacht, jene zu alarmieren, die die diplomatische und militärische Kommunikation auf der Seite der Verbündeten abhörten.
Die Nachricht, die er in der Hand hielt, war am Mittwoch nachmittag um 16.22 Uhr abgesetzt worden. Sie lautete:
»Von Herrmann
An Fietzau.
Dringlichst. Kontaktieren Sie Mrs. A. Farquarson, geborene Morenz, vermutlich wohnhaft London stop Fragen Sie sie, ob sie in den letzten vier Tagen ihren Bruder gesehen oder etwas von ihm gehört hat. Ende.«
Er hat mir nie etwas davon gesagt, daß er in London eine Schwester hat. Die Existenz einer Schwester nicht einmal erwähnt, dachte McCready. Er begann sich zu fragen, was ihm sein Freund Bruno sonst noch aus seiner Vergangenheit verheimlicht hatte. Er zog ein Telefonbuch aus einem Regalfach und schaute unter >Farquarson< nach.
Zum Glück war es kein sehr gebräuchlicher Name. Smith, das wäre ein ganz anderer Fall gewesen. Vierzehn Farquarsons waren verzeichnet, aber keine >Mrs. A. Farquarson<. Er rief die Nummern der Reihe nach an. Von den ersten sieben erklärten fünf, ihres Wissens gebe es keine Mrs. A. Farquarson. Zwei hoben nicht ab. Bei der achten Nummer, die für einen Robert A. Farquarson eingetragen war, hatte er Glück. Eine Frau kam an den Apparat.
»Hallo, hier spricht Mrs. Farquarson.«
»Sind Sie zufällig Mrs. A. Farquarson?«
»Ja.« Ihr Ton wirkte abwehrend.
»Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie anrufe, Mrs. Farquarson. Ich arbeite in der Einwanderungsabteilung in Heathrow. Haben Sie zufällig einen Bruder namens Bruno Morenz?«
Eine lange Pause.
»Ist er dort? In Heathrow?«
»Ich bin nicht berechtigt, Ihnen das zu sagen, madam. Es sei denn, Sie sind seine Schwester.«
»Ja, ich bin Adelheid Farquarson. Bruno Morenz ist mein Bruder. Könnte ich mit ihm sprechen?«
»Leider nicht im Augenblick. Sind Sie unter dieser Adresse in ungefähr einer Viertelstunde zu erreichen? Die Sache ist ziemlich wichtig.«
»Ja, ich bin hier.«
McCready bestellte bei der Fahrbereitschaft einen Wagen mit Fahrer und rannte die Treppe hinunter in den Hof.
Es war eine große Atelierwohnung im obersten Geschoß einer solide gebauten edwardianischen Villa, hinter der Regent’s Park Road versteckt. Er ging die Eingangsstufen hinauf und klingelte. Mrs. Farquarson empfing ihn in einem Malerkittel und führte ihn in ein Atelier mit Bildern auf Staffeleien und überall auf dem Boden verstreuten Skizzen.
Sie war eine stattliche Frau und hatte graues Haar wie ihr Bruder. Nach McCreadys Schätzung war sie Ende fünfzig, älter als Bruno. Sie machte Platz, damit er sich setzen konnte, und sah ihn ruhig und fest an. McCready bemerkte auf einem Tischchen, nicht weit entfernt, zwei Kaffeetassen, beide leer. Er bewerkstelligte es, eine davon zu berühren, während Mrs. Farquarson sich setzte. Die Tasse war warm.
»Was kann ich für Sie tun, Mr.?«
»Jones. Ich würde Sie gerne ein paar Dinge über Ihren Bruder, Bruno Morenz, fragen.«
»Warum das?«
»Die Angelegenheit betrifft die Paßbehörde.«
»Sie lügen, Mr. Jones.«
»Ja?«
»Ja, mein Bruder ist nicht hierher unterwegs. Und wenn er kommen wollte, hätte er keine Schwierigkeiten mit der britischen
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