McCreadys Doppelspiel
Paßbehörde. Er ist westdeutscher Bürger. Sind Sie von der Polizei?«
»Nein, Mrs. Farquarson. Aber ich bin ein Freund von Bruno. Seit vielen Jahren schon. Wir haben lange miteinander gearbeitet. Ich bitte Sie, das zu glauben, weil es wahr ist.«
»Er steckt in der Bredouille, nicht?«
»Ja, leider Gottes. Ich versuche, ihm zu helfen, wenn ich kann. Einfach ist es nicht.«
»Was hat er denn getan?«
»Wie es aussieht, hat er seine Geliebte in Köln umgebracht. Und er ist getürmt. Er hat mir noch eine Nachricht am Telefon zukommen lassen: daß er es nicht gewollt hat. Dann ist er verschwunden.«
Sie stand auf, ging ans Fenster und starrte hinaus auf das spätsommerliche Laub des Primrose Hill Park.
»O Bruno. Du Idiot. Mein armer, unglücklicher Bruno!«
Sie drehte sich um und sah ihn an.
»Gestern vormittag kam ein Mann von der Deutschen Botschaft hier an. Er hatte vorher angerufen, am Mittwochabend, aber da war ich nicht zu Hause. Er hat mir nicht gesagt, was Sie gerade gesagt haben, nur gefragt, ob Bruno sich hier gemeldet hätte. Das hat er nicht getan. Ich kann auch Ihnen nicht helfen, Mr. Jones, Sie wissen ja wahrscheinlich mehr als ich, wenn er sich bei Ihnen gemeldet hat. Ist Ihnen bekannt, wo er jetzt ist?«
»Das ist ja das Problem. Ich glaube, daß er über die Grenze gegangen ist. In die DDR. Irgendwo in der Gegend von Weimar. Vielleicht, um bei Freunden unterzuschlüpfen. Aber soviel mir bekannt ist, ist er in seinem ganzen Leben noch nie in die Nähe von Weimar gekommen:«
Sie schaute ihn erstaunt an.
»Wie kommen Sie darauf? Er hat dort zwei Jahre gelebt.«
McCready ließ sich nichts anmerken, aber jetzt war er verblüfft.
»Tut mir leid, das wußte ich nicht. Er hat mir nie etwas davon erzählt.«
»Das kann ich mir denken. Er war wahnsinnig ungern dort. Es waren die zwei unglücklichsten Jahre seines Lebens. Er hat nie darüber gesprochen.«
»Ich dachte, Sie und Ihre Verwandten stammen aus Hamburg, sind dort geboren und aufgewachsen.«
»Schon, bis 1943. Damals wurde Hamburg von der Royal Air Force zerstört. Der Großangriff auf Hamburg. Haben Sie schon mal davon gehört?«
McCready nickte. Er war damals fünf Jahre alt gewesen. Die Royal Air Force hatte die Innenstadt von Hamburg derart schwer bombardiert, daß wahre Feuerstürme ausbrachen. Die Brände sogen aus den Vorstädten Sauerstoff ins Zentrum, bis sich in dem tobenden Inferno eine solche Hitze entwickelte, daß Stahl flüssig wie Wasser wurde und Beton wie Dynamit explodierte. Der Feuersturm fegte durch die Stadt und verwandelte alles auf seinem Weg in Schutt und Asche.
»Bruno und ich wurden in dieser Nacht Waisen. Als alles vorüber war, wurden wir von den Behörden evakuiert. Ich war damals fünfzehn, Bruno zehn. Wir wurden getrennt. Ich wurde bei einer Familie einquartiert, die außerhalb von Göttingen lebte. Bruno haben sie auf einen Bauernhof in der Nähe von Weimar geschickt.
Nach dem Krieg habe ich mit Hilfe des Roten Kreuzes nach ihm gesucht und ihn gefunden. Wir kehrten nach Hamburg zurück. Ich habe für ihn gesorgt. Aber über Weimar hat er kaum je gesprochen. Ich nahm eine Stelle in der britischen NAAFI-Kantine an, um Bruno ernähren zu können. Das waren schwere Zeiten, kann ich Ihnen versichern.«
McCready nickte.
»Ja, es tut mir leid.« Sie zuckte mit den Achseln.
»Der Krieg war daran schuld. Jedenfalls, 1947 lernte ich einen britischen Feldwebel kennen. Robert Farquarson. Wir haben geheiratet und sind dann hierhergezogen. Er ist vor acht Jahren gestorben. Als wir 1948 aus Hamburg weggingen, Robert und ich, bekam Bruno einen Platz im Lehrlingsheim einer Firma, die optische Gläser herstellte. Ich habe ihn seither nur drei- oder viermal und in den vergangenen zehn Jahren überhaupt nicht gesehen.«
»Haben Sie das dem Mann von der Botschaft erzählt?«
»Diesem Herrn Fietzau? Nein, er hat nicht nach Brunos Kindheit gefragt. Aber der Dame habe ich davon erzählt.«
»Der Dame?«
»Ja. Sie hat gesagt, daß Bruno noch immer in seiner alten Branche arbeitet, optische Gläser, bei einer Würzburger Firma namens BKI. Aber anscheinend ist jetzt Pilkington Glass of Britain die Eigentümerin von BKI, und da Brunos Pensionierung näher rückt, brauchte sie biographische Details für die Berechnung seiner Ansprüche. Kam sie etwa nicht von Brunos Arbeitgebern?«
»Das bezweifle ich sehr. Vermutlich von der westdeutschen Polizei. Ich fürchte, die sucht ebenfalls nach Bruno, allerdings nicht, um ihm zu
Weitere Kostenlose Bücher