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McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
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Art, außer den eigenen Interessen alles zu ignorieren, sowie die Erkenntnis, daß ihr niemand eine Träne nachweinen, ja, daß man ihre Empfindungen nicht einmal bemerken würde, all das gab Briony schließlich die Kraft, sich ihrer Kusine zu widersetzen. In ihrem überwiegend angenehmen und wohlbehüteten Leben hatte sie sich noch nie zuvor gegen jemanden zur Wehr setzen müssen. Und plötzlich verstand sie: Es war, als wollte man Anfang Juni ins Schwimmbecken springen – man mußte sich einfach überwinden. Also zwängte sie sich aus ihrem Kinderstuhl und ging mit pochendem Herzen und stockendem Atem auf ihre Kusine zu.
Sie nahm Lola die Blätter aus der Hand und sagte mit erstickter, etwas fistelig klingender Stimme: »Besten Dank auch, aber wenn du die Arabella spielst, dann bin ich die Regisseurin, und deshalb werde ich den Prolog vorlesen.«
    Lola schlug die sommersprossige Hand vor den Mund. »‘tschuldigung«, flötete sie. »Ich wollte doch nur endlich anfangen.«
    Briony wußte nicht recht, was sie darauf erwidern sollte, also wandte sie sich an Pierrot und sagte: »Du siehst aber nicht gerade wie Arabellas Mutter aus.«
Die Kritik an Lolas Rollenverteilung und das Gelächter, das Briony mit ihrer Bemerkung bei den Jungen auslöste, verschob das Kräftegleichgewicht. Lola zuckte demonstrativ mit ihren knochigen Schultern, ging ans Fenster und starrte hinaus. Vielleicht kämpfte sie nun selbst mit der Versuchung, einfach aus dem Zimmer zu stürmen.
Obwohl die Zwillinge anfingen, sich zu balgen, und ihre Schwester fürchtete, Kopfweh zu bekommen, nahm die Probe schließlich doch irgendwie ihren Anfang. Als Briony den Prolog vorlas, herrschte gespannte Stille.
    Dies ist der unbesonnenen Arabellas Geschichte, Die mit einem fremdländischen Bösewichte Unerlaubt nach Eastbourne echappierte, Was die Eltern doch sehr konsternierte…
    Arabellas Vater stand mit seiner Gattin am schmiedeeisernen Tor des Herrenhauses, flehte erst seine Tochter an, ihren Entschluß noch einmal zu überdenken, und verbot ihr dann in seiner Verzweiflung schlicht und einfach, die Eltern zu verlassen. Ihm gegenüber stand die traurige, doch störrische Heldin, der Graf an ihrer Seite, und die an eine nahe Eiche gebundenen Pferde wieherten und scharrten ungeduldig mit den Hufen. Dem Vater sollte vor lauter zärtlichen Gefühlen die Stimme zittern, wenn er sagte:
    Mein Liebes, du bist hübsch und fein, Nur arglos, wenn du meinst,
Die Welt läg dir zu Füßen,
Doch kann sie sich erheben
Und dir auf ebenjene treten…
    Briony ließ die Schauspieler Aufstellung nehmen; sie selbst hakte Jackson unter, Lola und Pierrot standen Hand in Hand wenige Schritte vor ihr. Die Jungen prusteten los, als sich ihre Blicke trafen, aber die Mädchen brachten sie zum Schweigen. Ärger hatte es bereits genug gegeben, doch ahnte Briony erst, welche Kluft sich zwischen einer Idee und ihrer Ausführung auftun konnte, als Jackson in monotonem Geleier von seinem Blatt ablas und jedes seiner Worte wie ein Name auf einer Totenliste klang; als er das Wort »arglos« immer wieder falsch aussprach, obwohl es ihm oft genug vorgesagt worden war, und als er die letzte Zeile »Und dir auf ebenjene treten« ein ums andere Mal vergaß. Lola sprach ihren Text zwar korrekt, doch lustlos, und manchmal lächelte sie im unpassenden Moment wie über einen heimlichen Einfall, als wäre sie fest entschlossen, Briony zu zeigen, daß sie mit ihren Gedanken einer fast Erwachsenen ganz woanders war.
Und so machten sie weiter, die Kusine und die Vettern aus dem Norden, eine geschlagene halbe Stunde lang, und richteten Brionys Werk unaufhaltsam zugrunde. Zum Glück kam schließlich Brionys große Schwester, um die Zwillinge zum Baden abzuholen.
Zwei
    W eil sie so jung war und der Tag so schön, aber auch weil das Verlangen nach einer Zigarette in ihr aufkeimte, rannte Cecilia Tallis fast, Blumen in der Hand, den Pfad entlang, der vorbei am alten Badeplatz mit seiner moosigen Ziegelmauer dem Flußlauf folgte, ehe er hinter einer Biegung im Eichenhain verschwand. Doch auch die Langeweile der Sommerwochen seit ihrem Schulabschluß trieb sie hinaus, denn daheim schien das Leben erstarrt, und so ein herrlicher Tag wie heute machte sie ruhelos, beinahe unbeherrscht.
Der kühle, tiefe Schatten der Bäume war eine Wohltat, das scharf konturierte Geflecht der Äste verzauberte sie. Durch das eiserne Schwingtor – vorbei am Rhododendron beim Grenzgraben und quer durch eine offene Parklandschaft,

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