Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
McEwan Ian

McEwan Ian

Titel: McEwan Ian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbitte
Vom Netzwerk:
ihre Zimmer geführt, Hardmans Sohn Danny trug die Koffer hinauf, dann gab es in der Küche ein Erfrischungsgetränk, danach einen Rundgang durchs Haus, ein Bad im Pool, und schließlich sollte im Südgarten im Schatten der Weinstöcke zu Mittag gegessen werden. Emily und Cecilia Tallis schwatzten unentwegt drauflos, was die Gäste zweifellos um ebenjene gute Laune brachte, für die doch eigentlich gesorgt werden sollte. Briony wußte, wie es sie selbst deprimiert hätte, wenn sie zweihundert Meilen zu einem fremden Haus gereist wäre, um muntere Fragen über sich ergehen zu lassen, witzige Bemerkungen und hunderterlei Andeutungen, die besagen sollten, ihr sei es völlig freigestellt, zu tun, was sie wolle. Offenbar war keineswegs allgemein bekannt, daß Kinder am liebsten in Ruhe gelassen wurden. Doch die drei Quinceys bemühten sich redlich, amüsiert oder unbeschwert zu wirken, was ein gutes Omen für Die Heimsuchungen Arabellas sein mochte, besaß dieses Trio doch offenkundig das Geschick, etwas vorzugeben, was nicht der Wahrheit entsprach. Allerdings hatten die Gäste nur wenig Ähnlichkeit mit den Charakteren, die sie verkörpern sollten, weshalb sich Briony noch vor dem Mittagessen in den leeren Probenraum – das Kinderzimmer – stahl, über die gestrichenen Dielen auf und ab schritt und sich überlegte, wie sie ihre Rollen verteilen könnte.
Sehr überzeugend wirkte es nicht gerade, daß Arabella, die so dunkelhaarig wie Briony war, sommersprossige Eltern hatte, daß sie mit einem sommersprossigen Fürsten aus dem Ausland durchbrannte, eine Dachkammer von einem sommersprossigen Wirt mietete, ihr Herz an einen sommersprossigen Fürsten verlor und von einem sommersprossigen Vikar vor einer sommersprossigen Gemeinde getraut wurde. Doch so würde es kommen. Ihre Vettern hatten allzu helle Haut, ihre Gesichter leuchteten geradezu. Wenn Arabella nun die einzige war, die keine Sommersprossen hatte, ließe sich dies vielleicht noch am ehesten als ein Hinweis – eine Hieroglyphe, wie Briony vielleicht geschrieben hätte – auf ihre Besonderheit erklären. Obwohl sie in einer schurkischen Welt lebte, würde niemand an ihrer reinen Seele zweifeln. Blieb noch das Problem mit den Zwillingen, die kein Außenstehender auseinanderhalten konnte: War es möglich, daß der niederträchtige Graf solch verblüffende Ähnlichkeit mit dem hübschen Fürsten hatte und daß beide wiederum Arabellas Vater und dem Vikar so ähnlich sahen? Was, wenn Lola die Rolle des Fürsten übernahm? Jackson und Pierrot wirkten wie zwei eilfertige kleine Jungen, die sicherlich taten, was man ihnen auftrug. Doch würde die Schwester einen Mann spielen? Sie hatte grüne Augen in einem schmalen Gesicht mit markanten Wangenknochen, und ihre spröde Zurückhaltung verbarg ein aufbrausendes Temperament und einen starken Willen. Allein die Andeutung, daß Lola die Männerrolle übernehmen möge, könnte einen Wutausbruch heraufbeschwören. Und würde es Briony wirklich fertigbringen, Lola vorm Altar zur Trauung die Hand zu reichen, während Jackson aus dem Gebetbuch vorlas?
    Es war schon fünf Uhr, als es Briony endlich gelang, das Ensemble im Kinderzimmer zu versammeln. Sie hatte drei Stühle in einer Reihe aufgestellt, sich selbst aber zwängte sie in einen alten Kinderhochstuhl – ein unkonventioneller Einfall, der ihr den Vorteil eines Schiedsrichters beim Tennis einbrachte. Die Zwillinge waren nur mit Mühe vom Pool fortzubewegen gewesen, in dem sie drei Stunden ohne Unterbrechung getobt hatten. Sie kamen barfuß und trugen über den Badehosen, aus denen Wasser auf die Dielen tropfte, ärmellose Trikothemden. Aus dem verfilzten Haar rann ihnen das Wasser in den Nacken, und beide Jungen fröstelten und schlackerten mit den Beinen, um warm zu werden. Nach dem langen Bad war ihre Haut schrumpelig und blaß, so daß die Sommersprossen im trüben Licht des Kinderzimmers beinahe schwarz wirkten. Ihre Schwester, die zwischen ihnen saß, gab sich dagegen vollkommen gelassen. Sie hatte reichlich Parfüm aufgetragen und ein grünes Baumwollkleid angezogen, das ihr leuchtendrotes Haar noch unterstrich. Ihre Sandalen ließen ein Fußkettchen und zinnoberrote Zehennägel sehen. Beim Anblick dieser Nägel zog sich etwas in Brionys Brust zusammen. Sie ahnte, daß sie Lola nicht bitten konnte, den Fürsten zu spielen.
Alle saßen nun, und die Dichterin wollte gerade mit ihrer kleinen Ansprache beginnen, den Inhalt des Stücks zusammenfassen und einen

Weitere Kostenlose Bücher