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Mea culpa

Mea culpa

Titel: Mea culpa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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auftreiben.
    Damit ruiniere ich die Shorts, aber sie werden doch immerhin sauber.
    Ich habe keine Medikamente. Ich habe nichts Schmerzstillendes. Ich kenne hier keinen Arzt. Und da ich mich alle halbe Stunde umziehen muss, kann ich auch nicht in den Ort fahren und einen suchen.
    Es dauert schon viel zu lange, schon zehn Tage.
    Ich krümme mich im Schatten zusammen und spüre, wie alles aus mir herausfließt. Wenn aus meinen Unterhosen grüne Kröten und furchterregende Schlangen kröchen, würde mich das nicht im Geringsten überraschen.
    Vielleicht ist es Gott, der mir da einen Streich spielt.
    Ich presse mich auf den Boden und wünschte, ich könnte mich losreißen. Könnte ich doch nur die Schwerkraft umkehren, sie so verdrehen, dass Massen einander abstoßen, nur hier, nur an diesem Ort, nur für einen kurzen Moment, für den Moment, den ich brauchen würde, um Anlauf zu nehmen, weg vom Strand, weg von Mauritius, weg von der Erde und hinaus in die unendliche Dunkelheit, die so segensreich riesig und schwarz wirkt, dann könnte ich den schrägen Orion umarmen und würde nur eine dünne Blutspur hinterlassen, und sonst gar nichts, rein gar nichts.
4
    Rebecca Schultz wollte bereits im August aufhören.
    Am Montagmorgen, als diese Tatsache ihr durch einen Zufall zu Ohren kam, geriet Synne Nielsen in Panik. Sie konnte nicht begreifen, warum jemand nach drei Jahren Mutterschaftsurlaub nur für wenige Wochen zurückkam, und das noch dazu mitten im Sommer, wo Urlaub und Feiertage die meiste Zeit verschlangen, aber sie vermutete den Grund für diesen Schritt in engstirnigen staatlichen Vorschriften.
    Die Sonne war im Laufe des Wochenendes zwar in ihre ursprüngliche Bahn zurückgekehrt (und zwar schon am Freitagnachmittag; Synne hatte nach der Arbeit den Himmel angestarrt, war mitten auf der Grubbegata stehen geblieben und dabei fast von einem Taxi überfahren worden, denn sie hatte es erst bemerkt, als der Fahrer sie durch das heruntergekurbelte Fenster angebrüllt hatte; sie war unbeschreiblich erleichtert darüber, dass die Sonne ihren angestammten Platz wieder eingenommen hatte, doch zugleich stellte sich die Angst ein, sie könne an einer akuten Psychose erkrankt sein, sich alles unter Umständen nur eingebildet haben; andererseits fühlte sie sich nicht nur gesünder als seit langer Zeit, sondern fast schon glücklich, es konnte also nicht so gefährlich sein, und deshalb verdrängte sie jeden Gedanken an das bizarre Verhalten der Sonne mit einem breiten Lächeln und einer obszönen Geste, die dem Taxifahrer galt), aber die Nachricht von Rebeccas (in Gedanken nannte sie sie schon beim Vornamen) baldigem Ausscheiden aus dem Ministerium erregte ihr neuerlich Übelkeit und zwang sie auf die Toilette, wo sie ihr Gesicht so lange unter fließendes kaltes Wasser halten musste, dass sie sich danach nur noch mit Mühe aufrichten konnte.
    Sie schleppte sich ins Vorzimmer. Über einem Tischkopierer hing ein Stück Millimeterpapier mit grünen und roten Markierungen und den Namen aller Angestellten, die in diesem Stockwerk arbeiteten. Synne starrte das Blatt so lange an, bis das Rot und Grün in die hauchdünnen orangenen Streifen auf dem Papier schwamm, bis alles zu einem bunten Brei verlief. Sie kniff die Augen zusammen und rieb sich das Gesicht.
    Rebecca würde verschwinden. Am 5. August. Das war mit einem brutalen schwarzen Schlussstrich auf dem Papier vermerkt. Wie ein erwarteter und unvermeidlicher Todesfall, dachte Synne verzweifelt, als sei es ein Verbrechen, das Ministerium zu verlassen, und als könne dieses Verbrechen nur mit einem hässlichen jähen Ende bestraft werden; die Sekretärin hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ein Lineal zu benutzen, der schwarze Strich unterschied sich in vielfacher Hinsicht von seinen zierlichen, rot-grünen Kollegen, die munter von den Plänen erzählten, die die anderen Angestellten bis in den September hinein hegten.
    Rebecca würde im August aufhören. Und bis dahin wollte sie noch Urlaub machen. Das hatte auch Synne vor, doch ihre zwei Wochen an der Südküste lagen hinter den drei Wochen, die Rebecca irgendwo verbringen würde. In Cannes vielleicht, oder auf den Malediven. Oder vielleicht in einem eigenen riesigen Ferienhaus in Grimstad, mit Mann und Kindern und Schwiegereltern. Ab Mittwoch.
    Drei plus zwei macht fünf. Der siebte August lag nur knappe sieben Wochen in der Zukunft. Sieben minus fünf macht zwei. Zwei kurze Sommerwochen am gemeinsamen Arbeitsplatz. Zehn

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