Mea culpa
Schritte auf Synne zu und streckte ihr die rechte Hand hin.
»Ich glaube, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt«, sagte sie mit einer darin enthaltenen vorsichtigen Frage.
»Nein, das haben wir nicht«, bestätigte Synne und verfluchte den Schweiß, der dick und zäh in ihren Handflächen klebte.
So diskret wie möglich rieb sie ihre Hand über ihre Hose, ehe sie den Gruß erwiderte. Das half nichts. Aber ihre Hände waren wie erwartet. Trocken, warm. Ihr Händedruck war fest, aber nicht eisern, so wie Synne ihren eigenen kannte; sie konnte nichts dafür, sie hatte solche Angst davor, schlaff zu wirken, dass sie übertrieb, ja, sie übertrieb dermaßen, dass zarter gebaute Menschen schmerzlich das Gesicht verzogen, wenn sie sie begrüßten. Jedenfalls war das schon einige Male passiert.
»Rebecca Schultz«, sagte sie.
»Sehr erfreut«, sagte Synne Nielsen und wollte die Hand nicht loslassen.
Sie starrten einander an, dann fiel es ihr ein.
»Synne Nielsen«, sagte sie dann endlich, sehr schnell, es klang wie ein kräftiges Niesen, ungefähr wie Synne Nissen.
Dann wiederholte sie es, laut und deutlich:
»Synne Nielsen.«
In den folgenden Jahren versuchte sie ab und zu, herauszukitzeln, wie Rebecca das alles erlebt hatte. Während Synne jedes Detail schildern konnte (diesmal registrierte sie zum Beispiel, wie Rebecca gekleidet war, vom Rockmuster bis zu der kleinen weißen Stickerei auf dem Blusenkragen), schüttelte diese nur den Kopf, überlegte und fragte dann endlich:
»Cetacea war damals noch ziemlich klein, oder?«
Ob es die Art war, wie Rebecca mit dem Hund umging, ob es ihr Händedruck war, der Blick oder die Tatsache, dass sich jetzt unter die glänzenden rabenschwarzen auch graue Haare mischten, ohne dass sie versucht hätte, etwas daran zu ändern – Synne konnte jedenfalls niemals erklären, was den entscheidenden Eindruck gemacht hatte.
Aber ihr Entschluss stand fest.
Sie wollte Rebecca mit beiden Händen packen.
Sie war glücklich und lachte in Gedanken über ihren eigenen Optimismus.
5
Ich finde es sehr schwer, meine anstrengende Wanderung zu ihrem Herzen zu beschreiben. Die Geschichte verwirrt mich, auch wenn mein Gedächtnis mir dabei hilft, alle Episoden am Leben zu erhalten, detailliert und korrekt, falls es im Leben eines Menschen überhaupt etwas gibt, das sich zuverlässig und in allen Einzelheiten wiedergeben lässt. Statt sich in eine Geschichte mit Anfang und Ende und etwas in der Mitte einzufügen, springen die Details wie störende Elemente hin und her und zerstören Chronologie und Logik, und immer wieder stehe ich dann vor einem Flickenteppich aus heftigen Bildern, die sich gegenseitig zunichte machen.
Die Nächte werden mich noch zum Wahnsinn treiben. Ich kann nicht schlafen. Die Blutung hat endlich aufgehört, aber die Angst hat mich nicht verlassen. Sie packt mich mit eisernem Griff, wenn die Dunkelheit sich über Mauritius senkt, so gegen halb acht Uhr abends. Die Einsamkeit, diese selbstgewählte Einsamkeit, ist unerträglich. Ich bin krank vor Sehnsucht nach ihr, nach ihren Händen, nach ihrem ganzen Körper, natürlich, vor allem aber nach den Händen, die eine solche magische Macht über die bösen Kräfte der Nacht ausüben, die mich mein Leben lang gequält haben. Früher, in den guten Zeiten, konnte ich mit dem Gefühl aufwachen, dass die Seele dabei war, mich in purer, lauterer Angst vor den entsetzlichen Träumen zu verlassen; aber dann war sie da, wenn sie da war, und sie streichelte ruhig meinen Bauch, löste die Angst auf, beruhigte mich, holte die Seele an Ort und Stelle zurück und brachte, einzig, indem sie eine Hand über meine linke Brust legte, mein Herz wieder zum Schlagen. Sie hatte magische Hände.
Aber sie ist nicht hier. Und auch sonst ist niemand hier. Alles wäre besser als nichts, besser als die blanken weißen Laken, das riesige Bett, das nur das bohrende Gefühl betont, von niemandem geliebt zu werden; es ist einfach viel zu groß für nur einen Menschen.
Auf einem Tisch auf der Terrasse liegt ein Brief, eine halbleere Coladose hält ihn im schwachen Luftzug fest. Ich begreife nicht, woher er die Adresse hat. Nur meine Eltern wissen, wo ich bin; obwohl ich mit dem Gedanken gespielt habe, sie im Ungewissen zu lassen, haben sie auch so schon Probleme genug, und sie wären durchaus in der Lage, einen Privatdetektiv anzuheuern oder zu ähnlich drastischen Maßnahmen zu greifen. Der Umschlag ist verschmutzt, er liegt seit fast einer Woche
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