Medea. Stimmen
das ich ihr machte, gar nicht zu schätzen wußte, weil sie es für selbstverständlich hielt. Das war die Zeit, da wir uns solche Spiele mit Fremden noch leisten konnten. Wir waren unserer selbst und unserer Stadt sicher, der oberste Astronom des Königs konnte sich den Luxus erlauben, einer Zugewanderten, die uns niemals und unter keinen Umständen gefährlich werden konnte, zu erläutern, worauf der Glanz und der Reichtum seiner Stadt beruhen. Denn alles kommt ja darauf an, was man wirklich will und was man für nützlich, also für gut und richtig hält. Diesen Satz bestritt Medea nicht ganz und gar, nur das wichtige »also« in seiner Mitte lehnte sie ab. Was nützlich sei, müsse nicht unbedingt gut sein. Götter! Wie hat sie mich und vor allem sich selbst mit diesem Wörtchen »gut« gequält! Sie gab sich Mühe, mir zu erklären, was sie in Kolchis angeblich unter gut verstanden hätten. Gut sei gewesen, was die Entfaltung alles Lebendigen befördert habe. Also Fruchtbarkeit, sagte ich. Auch, sagte Medea, und sie fing an, von gewissen Kräften zu reden, die uns Menschen mit allen anderen Lebewesen verbänden und die frei fließen müßten, damit das Leben nicht ins Stocken käme. Ich verstand. Auch bei uns in Korinth gibt es eine kleine Schar von Schwärmern, die solche Reden führt, aber dies ernstlich anzustreben, hielt ich ihr entgegen, würde dem Menschen, wie er nun mal sei, jedes Leben in einer Gemeinschaft unmöglich machen. Sie dachte nach. Das kommt darauf an, sagte sie. Worauf denn, Medea. Laß mich, sagte sie, es dämmert mir, ich kann es noch nicht ausdrücken.
Immer anregend, mit ihr zu reden. Ich verstand aberauch, daß sie Leuten auf die Nerven gehen konnte. Dem Kreon gönnte ich das ja, er ist kein heller Kopf, sieht sich schnell in die Enge getrieben und verlangt dann von mir, daß ich ihn da heraushole, damals leistete ich mir das Vergnügen, seine Signale zu übersehen und zu überhören und mich dumm zu stellen. Die Frau sei zu schlau, fand er, und zu vorlaut. Vor allem war sie ihm unheimlich. Sie war, wie soll ich das ausdrücken, zu sehr Weib, das färbte auch ihr Denken. Sie fand, aber warum spreche ich von ihr eigentlich in der Vergangenheitsform, sie glaubt, die Gedanken hätten sich aus den Gefühlen heraus entwickelt und sollten den Zusammenhang mit ihnen nicht verlieren. Veraltet natürlich, überholt. Kreatürliche Dumpfheit, sagte ich dazu. Schöpferische Quelle sie. Nächtelang stand sie neben mir auf der Terrasse meines Beobachtungsturms und erklärte mir die Astronomie der Kolcher, die von Frauen betrieben wird und auf den Mondphasen beruht, und von mir ließ sie sich unsere Namen für die Sternbilder sagen, ihren Lauf beschreiben und die Schlüsse benennen, die ich aus dem Gang der Gestirne, aus ihrer Konstellation, für unser eigenes Schicksal herauslese. Wir lauschten der Sphärenmusik, einem kristallenen Klingen, auf das unsere Ohren nicht eingestimmt sind, das sie aber in seltenen Momenten äußerster Konzentration dennoch wahrnehmen können. Medea war die erste Frau, die diesen Ton im gleichen Augenblick wie ich vernahm. Als striche ein gewaltiger Bogen über eine vibrierende Saite, sagte sie. Genauso war es. In jener Nacht, das gebe ich zu, erschütterte mich dieses Erlebnis stärker als sonst, und auf andere Weise.
Daß sie meinen Voraussagen, die ich aus demSternenhimmel zu ziehen hatte, nicht folgen wollte, kränkte mich. Schließlich haben wir in Korinth eine uralte Tradition des Sterndeutens, die Reihe meiner Vorgänger, deren Namen wir ehrfürchtig überliefern, ist lang, und wenn ich mir auch Gedanken abseits der vorgegebenen Bahnen erlaube, so verdrängt dies doch nicht den Wunsch, mich dieser Reihe dereinst anschließen zu dürfen und dadurch in der Erinnerung meiner Landsleute fortzuleben. Warum? fragte da nun wieder Medea. Ich konnte nicht umhin zu bemerken, sie nähere sich mit ihren Fragen einem Bereich, um den ich eine Grenze gezogen hatte, die niemand überschreiten durfte. Ich könnte auch sagen, ihre Fragen machten mir erst deutlich, daß es diesen Bereich gab, und holten all die schmerzlichen und peinlichen Anlässe wieder herauf, die mich gezwungen hatten, ihn mir zu schaffen. Jetzt wurde ich unwirsch. Warum, warum! rief ich aus. Warum will man fortleben! Die Frage erübrige sich doch. Sie schwieg auf die Weise, die stärker als alle Worte zu verstehen gab, sie war nicht einverstanden. Also was ist, fing ich dann wieder an, du willst nicht in der
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