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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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schrie ich, das frage sie mich, der ich die Ereignisse miterlebt und, ja, das dürfe ich sagen, mit durchlitten habe? Dagegen möge sie doch einmal nachdenken, ob es ihr wirklich zustehe, irgend jemanden darüber zu belehren, wie er sich seinem Land gegenüber zu verhalten habe oder gegenüber seinem Königshaus. Sie blieb merkwürdig ungerührt. Wie sie mit Kolchis und mit ihrer Flucht zurechtkomme, das solle ich ruhig ihr überlassen; aber ich solle doch wissen, diese ganze Stimmungsmache gegen sie, auf einer wissentlich falschen Beschuldigung aufgebaut, sei überflüssig. Sie habe niemals vorgehabt, über das zu reden, was sie in der Höhle gefunden, und über das, was sie erfahren habe. Und sie könne schweigen, das solle ich wissen. Nur für sich selber habe sie Klarheit haben wollen. Ob wir nicht einmal das ertragen könnten.
    Wir standen uns als Feinde gegenüber. Bedauern darüber durfte in mir nicht aufkommen. Nur nicht gar so hochmütig. Nur nicht allzu selbstgewiß, meine liebe Medea, habe ich zu ihr gesagt. Stimmungsmache, sagst du. Wenn aber deine Landsleute, ohne Anstoß von uns, einfach von selber mißtrauisch geworden sind? Kommt es dir denn so abwegig vor, daß sie danach fragen, ob sievielleicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Flucht überredet worden sind? Ob da nicht vielleicht jemand ein ganz persönliches Interesse hatte, das Land zu verlassen, ehe noch der Brudermord ruchbar wurde?
    Ich erwartete ihren flammenden Zorn, erntete aber Hohn. Abwegig? Allerdings. Höchst abwegig nach all den Jahren, und allzu passend für unsere Interessen. Die wir übrigens besser vertreten würden, wenn wir nicht diese maßlose Angst vor Enthüllungen hätten. Wenn es nämlich stimme, daß ohne den Mord an Iphinoe – sie sagte Mord – der Bestand von Korinth gefährdet gewesen wäre: Wieso trauten wir unseren Korinthern dann nicht zu, daß sie das jetzt, nach all diesen Jahren, verstünden. Daß sie einsichtig genug wären, ihr eigenes Weiterleben und ihr Wohlleben über das Leben eines jungen Mädchens zu stellen. Oder wollten wir unbedingt weiterheucheln und weiterlügen und all die Opfer in Kauf nehmen, die daraus folgen müßten. Denn ich müsse doch absehen können, schön werde es nicht werden, auch nicht für uns.
    Sie wußte Bescheid. Ich dachte nicht daran, ihr auf solche Fragen zu antworten. Es kann ihr nicht entgangen sein, daß das Wohlleben meiner lieben Korinther direkt davon abhängt, daß sie sich für die unschuldigsten Menschen unter der Sonne halten können. Es ist doch lächerlich, anzunehmen, Menschen würden dadurch gebessert, daß man ihnen die Wahrheit über sie sagt. Mutlos und bockig werden sie dann, zügellos, unregierbar. Insofern entspricht es meiner Überzeugung, daß es richtig, ja das einzig Richtige war, das Opfer der Iphinoe insgeheim zu vollziehen, und daß diejenigen, die es anordneten und die, die es ausführten, dafür zu lobensind, daß sie eine schwere Last für uns alle auf sich genommen haben. Ich war nicht dabei. Es soll nicht schön gewesen sein. Ich weiß ja, wie man einen jungen Stier am Altar opfert.
    Man hat in jenem unterirdischen Gang einen Altar aufgerichtet, von Mord zu sprechen ist also ungeheuerlich. Das Mädchen, ein liebliches Kind, ich kannte es ja, wird ganz arglos gewesen sein. Merope, ihre Mutter, mußte in dem Teil des Palastes, den sie seitdem bewohnt, von vier Männern gehalten werden, man sagt, durch ihr irres Schreien habe sie ihre Stimme verloren, seitdem sei sie stumm. Kreon, der Vater, befand sich auf einer Schiffsreise zu den Hethitern, mit denen er Verträge aushandelte, die nur Böswillige Unterwerfung nennen konnten. Jetzt, das ist wahr, berufen die Hethiter sich auf gewisse Klauseln, die für Fälle vorgesehen waren, die nie eintreten sollten, jetzt nutzen sie die Veränderungen um unser Mittelmeer aus, ihre Vormachtstellung zu befestigen, wir geraten in stärkere Abhängigkeit von ihnen, Kreons Lage ist heikel, die Korinther geraten in Krisenstimmung. Medea stiftet zu einem ungünstigen Zeitpunkt Unruhe, das sagte ich ihr. So, sagte sie, aber einen günstigen Zeitpunkt sehe sie nicht mehr. Nicht für mich, nicht für Korinth. Auch nicht für sich selbst. Noch dazu, wo ich keine von euch bin, setzte sie hinzu. Aber du hättest eine von uns werden können, sagte ich. Und sie: Glaubst du das wirklich, Akamas?
    Nein, das glaube ich nicht.
    Die Amme von Iphinoe ist mit ihr gegangen. Das Kind müsse doch wenigstens ein vertrautes

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