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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Erinnerung deiner Leute fortleben, oder was. Darüber habe sie noch nicht nachgedacht. Das könne sie erzählen, wem sie wolle, mir nicht. Wieder dieses Schweigen. Es fing an, etwas wie Wut in mir zu erzeugen, eine Regung, die ich mir als meiner unwürdig abgewöhnt hatte. Viel später, in ganz anderem Zusammenhang, konnte sie dann plötzlich sagen: Bei uns werden alle Ahnen geehrt, weißt du. Manchmal mußte ich lachen.
    Natürlich haben meine Korinther das Trüppchen der Einwanderer wie fremde Tiere bestaunt, nicht direkt unfreundlich, nicht direkt freundlich. Wir hattendamals ein paar gute Jahre, das merkt man ja immer erst später, wir sonnten uns in dem Staunen der Kolcher über unseren Wohlstand. Einige gute Ernten hintereinander, gefüllte Speicher, niedrige Lebensmittelpreise, hin und wieder eine öffentliche Speisung für die ärmeren Schichten, und die Abhängigkeit von den Hethitern kaum spürbar. Was mir aber genausoviel bedeutete: Die unglückselige Geschichte mit Iphinoe war endlich vergessen, beinahe auch von mir. Niemand fragte mehr, ob sie denn wirklich von fremden Seeleuten entführt worden sei, um ehrenvoll mit deren jungem König verheiratet zu werden. Und, was ich nicht für möglich gehalten hätte, die Leute hatten sich damit abgefunden, daß Merope, ihre sehr geliebte Königin, auf Dauer krank war, in diesem entfernten Flügel des Palastes hauste und außer den beiden unsäglichen Weibern niemanden, ohne Ausnahme niemanden, zu sich ließ. Ich selber weiß nicht mal, ob ihr das befohlen wurde, ob also eine Art Verbannung über sie verfügt war, oder ob sie nach dem Vorfall mit Iphinoe von sich aus alles, was zum Palast gehörte, mied wie die Pest. Irgendwann habe ich aufgehört, danach zu fragen.
    Ich war jung, als das alles geschah. Wir lebten in unruhigen Zeiten, die Völker rund um unser Mittelmeer waren in Bewegung, auch unsere Stadt war bedroht durch innere Zwietracht. Im Rat gab es zwei Parteien, die eine war Kreon ergeben, die andere stand hinter Königin Merope, die eine wichtige Stimme hatte, denn nach einer alten, längst sinnlos gewordenen Sitte hatte der König die Krone von der Königin geliehen bekommen, die Herrschaft vererbte sich in der mütterlichen Linie. Auf einmal sollten diese alten vergessenen Gesetzewieder Bedeutung bekommen, die beiden Parteien stritten sich erbittert. Es gab die Möglichkeit eines Bündnisses mit einer Nachbarstadt, das Korinth sicher und unangreifbar gemacht hätte, aber nur unter der Bedingung, daß Iphinoe den jungen König dieser Stadt heiraten und später Kreons Nachfolge antreten sollte. Viele Ratsmitglieder, unter ihnen Merope, fanden diese Vorschläge vernünftig, die Aussicht, Korinth aus der Umklammerung verschiedener großer Mächte zu befreien, hoch wünschenswert. Kreon war dagegen. Ohne oder gegen ihn konnte der Rat nichts durchsetzen. Merope wütete, ihr war klar, die Weigerung des Königs richtete sich gegen sie. Ich stand auf Kreons Seite. Es hat doch keinen Sinn, sagte er mir in einer vertraulichen Stunde, nach der sehr schwierigen, langwierigen, viel List, Geduld und Beharrlichkeit fordernden Entfernung der Merope von Einfluß und Macht nun in der Tochter Iphinoe und den Frauen, die sich an sie halten, die Hoffnung auf eine neue Weiberherrschaft zu befestigen. Nicht, daß er etwas gegen Frauen habe, die Geschichte der Völker rund um unser Meer gebe ja genügend Beispiele für erfolgreiche Frauendynastien. Nicht Eigennutz, nur die Sorge um Korinths Zukunft habe ihn bestimmt. Denn wer die Zeichen der Zeit zu lesen wisse, der sehe doch, daß sich unter Kämpfen und Greuel rundum Staaten bildeten, denen ein auf alte Weise frauengelenktes Korinth einfach nicht gewachsen wäre. Und sich gegen den Lauf der Zeit aufzulehnen habe keinen Sinn. Man könne nur versuchen, ihn rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern, daß man von ihm überrannt werde. Der Preis, den man dafür zahlen müsse, könne allerdings sehr schmerzlich sein.
    Unser Preis war Iphinoe. Ganz Korinth wäre untergegangen, wenn wir sie nicht geopfert hätten, sagte ich Medea. Was macht dich so sicher, sagte sie, es war klar, daß sie das fragen würde. Mir haben buchstäblich die Haare zu Berge gestanden, als diese haßgeschüttelte Agameda und dieser unsägliche Presbon mit ihrer Denunziation ankamen und als ich zu begreifen begann, daß Medea alles wußte. Daß sie in der Falle saß. Und zwar durch eigene Schuld, das machte mich noch wütender. Was mich so sicher mache,

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