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Medea. Stimmen

Medea. Stimmen

Titel: Medea. Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Schwester, als ich es je sein kann.
    Ich hätte Kolchis nicht verlassen müssen. Nicht dem Jason zu seinem Vließ verhelfen. Nicht die Meinen zum Mitkommen überreden. Nicht diese lange schlimme Überfahrt auf mich nehmen, nicht all diese Jahre als halb gefürchtete, halb verachtete Barbarin in Korinth durchleben. Die Kinder, ja. Aber was werden sie vorfinden. Auf dieser Scheibe, die wir Erde nennen, gibt es nichts anderes mehr, mein lieber Bruder, als Sieger und Opfer. Nun verlangt es mich zu wissen, was ich finden werde, wenn es mich über ihren Rand hinaustreibt.

5
    Sobald die Weiber uns gleichgestellt sind,
sind sie uns überlegen.
    Cato
    Akamas
    O über diese Ahnungslose. Es sind die Ahnungslosen, die uns ins Verderben stürzen. Daß es so etwas noch gibt, hatte ich nicht für möglich gehalten. Zwar gingen ihr Gerüchte voraus, die einen neugierig machen mußten, Seefahrer, die bei uns an Land gingen, waren der »Argo« begegnet und auch jener Frau, in irgendeinem der Häfen um unser Großes Meer herum, der ganze Klatsch und Tratsch der Hafenkneipen wurde an unsere Küste gespült, ich wüßte nicht, was in jenen Tagen mehr Aufsehen erregte als die Abenteuer der Argonauten und worüber man sich mehr die Mäuler zerriß als über die Frau, die bald die schöne Wilde hieß. Ich kenne die Menschen, das darf ich wohl sagen, ich kenne ihre merkwürdigen ununterdrückbaren Bedürfnisse, ich kenne ihre wuchernde Phantasie und ihren Hang, die Auswüchse dieser Phantasie für bare Wirklichkeit zu nehmen, aber an dieser Frau mußte etwas sein, was ihre Gehirne entzündete und sie nicht losließ.
    König Kreon, der sich mit seinen Vettern auf den Thronen der umliegenden Länder auskennt, hat ziemlich klar vorausgesehen, was passieren würde. Daß Jason die Eroberung des Goldenen Vließes nichts nützen werde, weil sein Onkel, der Usurpator, ihm den Thron nicht abtreten werde. Daß er niemanden fände, der für sein Erbe kämpfen würde. Daß er also, mitsamt seiner Frau und ihrem Anhang, nach einem Ort suchen müßte, an dem er unterkriechen könnte. Dieser Ort, sagte König Kreon im Ältestenrat, wird Korinth sein. Er kannte diesen Neffen nicht, aber er hatte sich nach ihm erkundigt,die Berichte seien nicht ungünstig, sagte er. Die Erziehung, die dieser Jason bei Cheiron in den thessalischen Wäldern bekommen habe, sei zwar nicht mit der zu vergleichen, die der Sohn eines Königs bei uns im Palast genösse, doch habe sie immerhin bestimmte Fähigkeiten gebildet, andere gezähmt, Wildwuchs beschnitten. Den Rest trauten wir uns doch wohl zu, einem aufnahmefähigen jungen Mann anzuerziehen. Wir nickten alle. Immerhin gab es an diesem Hof keinen männlichen Erben, nur eine Tochter, die arme Glauke. Auch die Auguren dachten sich ihr Teil, versteckten die Augen und murmelten mit den Mündern Zustimmung. Als sie gingen, hielt Kreon mich zurück, das schmeichelte mir, doch wäre es mir lieber gewesen, er hätte mich nicht vor aller Augen ausgezeichnet und den Neid der anderen geweckt.
    Was denkst du, Akamas. Er hatte sich angewöhnt, mich ins Vertrauen zu ziehen, und ich hatte jedesmal neu herauszufinden, ob er Offenheit von mir wollte oder nur die Bestätigung seiner Meinung. Ich sagte, ein junger Mann von Jasons Statur werde dem Palast von Korinth wohl anstehen. Gut, gut, aber was noch? Da wäre noch diese Frau, Kreon, sagte ich. Ich weiß, sagte Kreon. Man wird sie sich ansehen, nicht? So ist es, sagte ich. Ich hatte das Nötige für die Ankunft Jasons und der Seinen zu veranlassen.
    Wenige Wochen später, an einem windigen, trüben Herbsttag, segelten die »Argo« und die Schiffe der Kolcher, die Medea begleitet hatten, in unseren Hafen. Ein Lotsenschiff unserer Flotte wies sie ein, einige mittlere Beamte des Palasts waren zu ihrem Empfang abgeordnet. Ich stand etwas abseits und wartete auf die Frau.Sie kam, von Jason am Ellenbogen gestützt, mit freiem, schwerem Schritt den Landesteg herunter. Sie war hochschwanger, blaß, erschöpft, hohläugig, die Überfahrt bei schwerer See war zuviel für sie gewesen, die Frauen, die sich um sie bemühten, hatten gefürchtet, sie würde auf diesem rollenden, sich aufbäumenden Schiff niederkommen. Ich sah, daß sie schön war, und verstand Jason. Dann stand sie vor mir, und ich sah ihre Augen, die Goldfunken in der grünen Iris. Ihre Augen waren lebhaft und hellwach. Solange eine Frau kalte Füße hat, geht die Geburt nicht los, sagte sie, das waren die ersten Worte, die ich von ihr

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