Medicus 01 - Der Medicus
beruhigt, als Hugh schnaubend fortfuhr: »Er wird erst in drei Jahren alt genug für die Zimmermannslehre sein und isst jetzt schon wie ein Scheunendrescher, während London voll von Burschen mit starken Rücken und leeren Bäuchen ist.« Die Männer gingen weiter.
Zwei Tage später büßte er hinter demselben Fenstervorhang bitter für den Frevel, dass er heimlich lauschte, als er zuhörte, wie Frau Bukerei mit Frau Haverhill über das Amt ihres Mannes sprach. »Alle sprechen von der Ehre, Zunftmeister zu sein. Es bringt kein Brot auf meinen Tisch. Ganz im Gegenteil, es bringt unangenehme Verpflichtungen mit sich. Ich habe genug davon, meine Vorräte mit so jemandem wie diesem großen, faulen Burschen da drinnen zu teilen.«
»Was soll denn aus ihm werden?« seufzte Frau Haverhill. »Ich habe Master Bukerei geraten, ihn als mittellos zu verkaufen. Sogar in schlechten Zeiten erzielt man für einen jungen Unfreien einen Preis, mit dem man der Zunft und uns allen zurückzahlen kann, was wir für die Familie Cole ausgegeben haben.« Ihm stockte der Atem.
Frau Bukerei schniefte. »Aber der Zunftmeister will nichts davon hören«, beklagte sie sich bitter.
Er war viel zu jung, um als Schauermann im Hafen zu arbeiten, wusste aber, dass junge Unfreie in den Bergwerken eingesetzt wurden, wo sie in Stollen arbeiteten, die zu eng für Männer waren. Er wusste auch, dass Unfreie erbärmlich schlecht gekleidet und ernährt und oft schon wegen kleiner Übertretungen brutal ausgepeitscht wurden. Und dass man, wenn man einmal unfrei war, es sein Leben lang blieb. Er weinte.
Schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und sagte sich, dass Richard Bukerei ihn nie als Unfreien verkaufen würde, aber er traute es Frau Bukerei zu, dass sie andere Leute schicken könnte, um ihren Vorsatz auszuführen, ohne ihren Mann zu fragen. Ihr war so etwas durchaus zuzutrauen. So wartete er in dem stillen, verlassenen Haus und begann bei dem leisesten Geräusch zu zittern.
Fünf bleierne Tage nach dem Begräbnis seines Vaters klopfte ein Fremder an die Tür.
»Du bist der junge Cole?«
Er nickte vorsichtig, sein Herz pochte laut.
»Ich heiße Croft. Ein Mann namens Richard Bukerei hat mich zu dir geschickt, den ich beim Bier in der Bardwell-Taverne kennengelernt habe.«
Rob hatte einen weder jungen noch alten Mann mit einem riesigen, fetten Körper und einem wettergegerbten Gesicht vor sich, das vom langen Haar eines freien Mannes und einem gekräuselten Bart von der gleichen rötlichen Farbe umgeben war.
»Wie lautet dem voller Name?«
»Robert Jeremy Cole, Sir.«
»Alter?«
»Neun Jahre.«
»Ich bin Bader und suche einen Lehrling. Weißt du, was ein Bader tut, junger Cole?«
»Seid Ihr eine Art Arzt?«
Der dicke Mann lächelte. »Vorläufig genügt das. Bukerei hat mich über deine Lage unterrichtet. Sagt dir mein Beruf zu?«
Das war nicht der Fall; er hatte keine Lust, so zu werden wie der Blutsauger, der seinen Vater zu Tode geschröpft hatte. Aber noch weniger wollte er als Unfreier verkauft werden, und er antwortete ohne Zögern mit ja.
»Keine Angst vor der Arbeit?«
»O nein, Sir!«
»Das ist gut, denn bei mir kannst du dir die Finger wund arbeiten. Bukerei hat gesagt, daß du lesen und schreiben und auch Latein kannst?«
Rob zögerte. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sehr wenig Latein.«
Der Mann lächelte. »Ich werde dich eine Zeitlang zur Probe nehmen.
Hast du eigene Sachen?«
Das kleine Bündel war seit Tagen geschnürt. Bin ich nun gerettet? fragte er sich. Draußen kletterten sie in den merkwürdigsten Wagen, den er jemals gesehen hatte. Zu beiden Seiten des Kutschbocks stand eine weiße Stange, um die ein dicker Stoffstreifen wie eine karmesinrote Schlange gewickelt war. Die Abdeckung des grellroten Gefährts war mit den sonnengelben Bildern eines Widders, eines Löwen, einer Waage, eines Steinbocks, zweier Fische, eines Schützen und eines Krebses bemalt.
Der Apfelschimmel zog an, und sie rollten die Carpenter's Street hinunter und am Zunfthaus vorbei. Rob saß wie erstarrt da, als sie durch die lebhafte Thames Street fuhren, und es gelang ihm immer wieder, einen schnellen Blick auf den Mann zu werfen; jetzt bemerkte er ein trotz des Fetts ansprechendes Gesicht, eine kräftige, gerötete Nase, eine Geschwulst auf dem linken Augenlid und ein Netz von feinen Fältchen, die von den Winkeln der durchdringenden, blauen Augen ausgingen.
Der Wagen überquerte die kleine Brücke über den Walbrook und fuhr
Weitere Kostenlose Bücher