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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Angreifern oder, so dachte Rob, zum Ermorden eines flüchtenden Jungen dienen konnten. Der Bader hatte ein sächsisches Hörn abgenommen, das er an einem Riemen um den Hals trug. Er schloss den Boden mit einem knöchernen Stöpsel, füllte es mit einer dunklen Flüssigkeit aus einer Flasche und reichte es Rob. »Mein eigenes Destillat. Nimm einen kräftigen Schluck!«
    Er wollte es eigentlich nicht, hatte aber Angst, das Angebot abzulehnen. Einem Kind der Londoner Arbeitervorstadt drohte man nicht mit der milden, abgeschwächten Form des schwarzen Mannes, sondern es lernte früh, dass es Seeleute und Schauermänner gab, die darauf aus waren, einen Jungen hinter verlassene Lagerhäuser zu locken. Er kannte Kinder, die Zuckerwerk und Münzen von solchen Männern angenommen hatte, und er wusste, was dafür verlangt wurde. Ihm war klar, dass Trunkenheit ein häufiges Mittel zum Zweck war.
    Er versuchte, einen zweiten Schluck abzulehnen, aber der Bader runzelte die Stirn. »Trink!« befahl er. »Es wird dich beruhigen.«
    Der Bader war erst zufrieden, als er noch zwei kräftige Schluck getrunken hatte und heftig husten musste. Er nahm das Hörn auf seine Seite des Feuers zurück, trank die Flasche aus und noch eine, gab schließlich einen gewaltigen Furz von sich und legte sich hin. Er blickte nur noch einmal zu Rob hinüber. »Du kannst ruhig sein, Kleiner«, sagte er. »Schlaf gut! Von mir hast du nichts zu befürchten.«
    Rob war sicher, dass dies ein Trick war. Er lag unter dem stinkenden Bärenfell und wartete mit gespanntem Gesäß. In der rechten Hand hielt er seine Münze. In der linken Hand hielt er einen schweren Stein, obwohl er wusste, dass er nicht einmal mit des Baders Waffen einen Gegner für diesen Mann abgeben würde, ihm also hilflos ausgeliefert war.
    Doch schließlich war ganz klar, dass der Bader schlief. Er war nämlich ein schrecklicher Schnarcher.

    Der Bader wusste, was in seinem neuen Lehrling vor sich ging. Er war genau in diesem Alter gewesen, als wütende Horden das Fischerdorf Clacton, in dem er zur Welt gekommen war, überfallen hatten und er allein zurückgeblieben war. Es hatte sich in sein Hirn eingebrannt. Aethelred war der König seiner Kindheit gewesen.
    So weit er zurückdenken konnte, hatte sein Vater Aethelred verflucht und gesagt, dass das Volk unter keinem anderen König je so arm gewesen sei. Aethelred saugte es aus und belastete es mit Abgaben, um Emma, der willensstarken, schönen Frau, die er sich als seine Königin aus der Normandie geholt hatte, ein verschwenderisches Leben zu bieten. Er hatte zwar mit den Abgaben eine Armee aufgestellt, benützte sie aber mehr zum Schutz seiner eigenen Person als seines Volkes, und er war so grausam und blutrünstig, dass manche Männer ausspuckten, wenn sie seinen Namen hörten.
    Im Frühling Anno Domini 991 beschämte Aethelred seine Untertanen, indem er dänische Angreifer mit Gold bestach, um sie zur Umkehr zu bewegen. Im folgenden Frühjahr kehrte die dänische Flotte nach London zurück, wie sie es seit hundert Jahren tat. Diesmal hatte Aethelred keine Wahl: Er sammelte seine Krieger und Kriegsschiffe, und die Dänen wurden in einer blutigen Schlacht auf der Themse besiegt. Doch zwei Jahre später folgte eine ernstere Invasion, als Olaf, König der Norweger, und Swegen, König der Dänen, mit vierundneunzig Schiffen die Themse stromaufwärts segelten. Wieder zog Aethelred seine Armee um London zusammen, und es gelang ihm, die Nordländer abzuwehren, aber diesmal erkannten die Eindringlinge, dass der feige König sein Land schutzlos preisgegeben hatte, um sich zu wahren. Die Nordländer teilten ihre Flotte, zogen ihre Schiffe an der englischen Küste auf den Sand und verwüsteten die kleinen Küstenstädte.
    In dieser Woche hatte Henry Crofts Vater ihn zu seinem ersten langen Heringsfang mitgenommen. An dem Morgen, an dem sie mit reichem Fang heimkehrten, war er vorausgelaufen, um als erster seiner Mutter in die Arme zu stürzen und sich von ihr loben zu lassen. Außer Sicht, in einer kleinen Bucht in der Nähe versteckt, lag ein halbes Dutzend norwegischer Langboote. Als er die väterliche Hütte erreichte, sah er einen fremden Mann, der in Tierhäute gekleidet war und ihn durch die offenen Läden des Fensterlochs anstarrte.
    Er hatte keine Ahnung, wer der Mann war, doch instinktiv machte er kehrt und lief um sein Leben geradewegs zu seinem Vater. Seine Mutter lag bereits vergewaltigt und tot auf dem Boden, doch das wusste sein Vater

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