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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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schüttelte, bemerkten die Weinflasche und die losen Zügel des Wallachs.
    Der Offizier wußte, daß der Jude beim Vorstoß nach Indien zurückgeblieben war, um die Wunden der Soldaten zu behandeln. »Sein Kopf ist voll vom Trinken.« Er grinste. »Aber er ist kein schlechter Kerl. Laßt ihn in Ruhe!«
    Sie sahen zu, wie das braune Pferd den Arzt zu den Stadttoren trug.

Die graue Stadt
    Er war also das letzte überlebende Mitglied jener Abordnung aus Isfahan. Wenn er daran dachte, daß Mirdin und Karim unter der Erde lagen, war es, als trinke er ein Gebräu aus Zorn, Schmerz und Trauer. Doch so abwegig es schien, ihr Tod versüßte dennoch sein Leben wie ein liebevoller Kuß. Er genoß nun die alltäglichen Freuden des Lebens bewußter: einen tiefen Atemzug, ein ausführliches Pissen, einen gemächlichen Furz.
    Und das trotz der Tatsache, daß Isfahan ein düsterer Ort geworden war. Wenn Allah und der Imam Qandrasseh sogar den heldenhaften Läufer zugrunde richten konnten, welcher Mensch würde dann noch wagen, die vom Propheten erlassenen islamischen Gebote zu brechen? Die Huren verschwanden, und auf den maidans gab es nachts keine Ausschweifungen mehr. Mullahs patrouillierten zu zweit durch die Straßen und achteten genau darauf, ob ein Schleier vielleicht das Gesicht einer Frau zuwenig verdeckte, ob sich jemand auf den Ruf des muezzm hin zu langsam niederwarf oder ob der Besitzer eines Erfrischungshauses so ungeschickt war, Wein zu verkaufen. Sogar in der Jehuddijeh, wo die Frauen ihre Haare ohnedies sorgfältig bedeckten, begannen viele jüdische Frauen, den schweren muselmanischen Schleier zu tragen.
    Jeden Morgen kamen mehr Gläubige zu Ibn Sinas Haus und beteten mit ihm, aber sobald er seine Andacht beendet hatte, kehrte der Arzt aller Ärzte jetzt in sein Haus zurück und wurde erst wieder gesehen, wenn es Zeit zum nächsten Gebet war. Er gab sich vollkommen der Trauer und Selbstbeobachtung hin und kam nicht mehr in den maristan , um zu unterrichten oder Kranke zu heilen. Diejenigen, die sich von einem Dhimmi nicht berühren lassen wollten, wurden von al-Juzjani behandelt, aber es waren nicht viele. Rob hatte deshalb alle Hände voll zu tun, weil er sich Ibn Sinas Patienten und den seinen widmen mußte.
    Eines Morgens kam ein magerer alter Mann mit stinkendem Atem und schmutzigen Füßen ins Krankenhaus.
    Qasim Ibn Sahdi hatte Storchenbeine mit knorrigen Knien und einen mottenzerfressenen, strähnigen weißen Bart. Er wußte nicht, wie alt er war, und hatte kein Zuhause, denn er hatte den größten Teil seines Lebens als Treiber bei der einen oder anderen Karawane zugebracht.
    Er besaß keine Familie, aber Allah hielt seine Hand über ihn. »Ich kam gestern mit einer Karawane hier an, die Wolle und Datteln aus Qum brachte. Unterwegs befiel mich ein Schmerz wie ein böser djinni.«
    »Schmerz? Wo?«
    Qasim stöhnte und hielt sich die rechte Seite.
    Er wurde zu einem Strohsack geführt, wo er gewaschen wurde und eine leichte Mahlzeit bekam. Es war der erste Patient mit der Seitenkrankheit, den Rob in einem Frühstadium des Leidens beobachten konnte. Vielleicht wußte Allah, wie Qasim zu heilen war, Rob jedenfalls wußte es nicht.
    Er verbrachte Stunden in der Bibliothek. Schließlich fragte ihn Jussuf-al-Gamal, der Hüter des Hauses der Weisheit, höflich, was er so emsig suche.
    »Das Geheimnis der Seitenkrankheit. Ich versuche Berichte von alten Ärzten zu finden, die den menschlichen Bauch geöffnet haben, bevor es verboten wurde.«
    Der ehrwürdige Bibliothekar blinzelte und nickte freundlich. »Ich werde versuchen, Euch zu helfen. Laßt mich sehen, was ich finden kann«, versprach er.

    Nach einigen Tagen vergingen Qasims Schmerzen, doch Rob wollte ihn nicht entlassen. »Wohin werdet Ihr von hier gehen?«
    Der alte Treiber zuckte die Schultern. »Ich werde eine Karawane suchen, Hakim, denn dort bin ich zu Hause.«
    »Nicht alle, die hierher kommen, können wieder gehen. Manche sterben, versteht Ihr.«
    Qasim nickte ernst. »Alle Menschen müssen einmal sterben.«
    »Wenn man die Toten wäscht und sie für das Begräbnis zurechtmacht, dient man Allah. Könntet Ihr eine solche Arbeit verrichten?«
    »Ja, Hakim. Denn es ist Gottes Arbeit, wie Ihr sagt«, erklärte er feierlich. »Allah hat mich hierher gebracht, und vielleicht ist es Sein Wille, daß ich bleibe.«
    Neben den beiden Räumen, die als Leichenhaus des maristan dienten, lag eine kleine Vorratskammer. Sie brachten sie in Ordnung und machten sie zu

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