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Medicus 01 - Der Medicus

Titel: Medicus 01 - Der Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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bedeckt ist«, stellte Ibn Sina fest. »Aber es gibt keine feurige Hölle an den Rändern, denn vernunftbegabte Menschen haben immer gewußt, daß die Erde rund ist wie ein Pflaume. Ihr seid doch auf dem Meer gereist! Wenn man ein entgegenkommendes Schiff in der Ferne erblickt, sieht man zuerst die Mastspitze am Horizont und dann immer mehr von dem Schiff, weil es über die gerundete Oberfläche der Erde segelt.«
    Er besiegte Rob, indem er seinem König eine Falle stellte, obwohl er geistesabwesend gewirkt hatte. Dann schickte er einen Diener um Scherbett und eine Schüssel Pistazien. »Erinnert Ihr Euch nicht an den Astronomen Ptolemaios?«
    Rob lächelte; er hatte gerade so viel Astronomie studiert, um den Anforderungen der madrassa zu genügen. »Ein alter Grieche, der seine Schriften in Ägypten verfaßte.«
    »So ist es. Er schrieb, daß die Erde rund ist. Sie hängt unter dem konkaven Firmament und ist das Zentrum des Universums. Um sie kreisen Sonne und Mond, so daß es zu Tag und Nacht kommt.«
    »Diese Erdkugel, die auf ihrer Oberfläche Meer, Festland, Berge, Flüsse, Wälder, Wüsten und Eisflächen trägt - ist sie hohl oder massiv?
    Und wenn sie massiv ist, woraus besteht ihr Inneres?«
    »Das können wir nicht wissen. Die Erde ist riesig, wie Ihr es erlebt habt, weil Ihr über ein großes Stück von ihr geritten und marschiert seid. Und wir sind nur winzige Menschen, die nicht tief genug graben können, um diese Frage zu beantworten.«
    »Wenn Ihr aber imstande wäret, ms Innerste der Erde zu blicken - würdet Ihr es tun?«
    »Selbstverständlich!«
    »Ihr wäret aber imstande, in den menschlichen Körper zu blicken, doch Ihr tut es nicht.« Ibn Sinas Lächeln schwand. »Die Menschheit ist halb wild und muß nach festen Regeln leben. Wenn nicht, würden wir zu unserer tierischen Natur zurückkehren und zugrunde gehen. Eines unserer Gesetze verbietet die Verstümmelung von Toten, weil sie eines Tages vom Propheten aus ihren Gräbern wiedererweckt werden.«
    »Warum leiden die Menschen an Unterleibsbeschwerden?« Ibn Sina zuckte mit den Achseln. »Öffnet den Bauch eines Schweines und studiert das Rätsel! Die Organe eines Schweines sind mit denen des Menschen identisch.«
    »Seid Ihr dessen sicher, Meister?«
    »Ja. So steht es seit Galens Zeiten geschrieben, dessen griechische Zeitgenossen ihm nicht erlaubten, Menschen aufzuschneiden. Die Juden und die Christen unterliegen dem gleichen Verbot. Alle Menschen teilen diesen Abscheu vor dem Sezieren.« Ibn Sina blickte ihn mit zärtlicher Besorgnis an. »Ihr habt viele Widerstände überwunden, um Medicus zu werden. Aber Ihr müßt Eure Tätigkeit innerhalb der Grenzen der religiösen Vorschriften und des allgemeinen Empfindens der Menschen ausüben. Wenn Ihr Euch nicht daran haltet, wird Euch ihre Macht vernichten.«

    Als Rob nach Hause ritt, starrte er zum Himmel empor, bis die Lichtpunkte vor seinen Augen verschwammen.
    Von den Sternen kannte er nur den Mond und den Saturn und einen glühenden Punkt, der vielleicht der Jupiter war, denn er leuchtete gleichmäßig inmitten der funkelnden Himmelskörper.
    Ihm war klar, daß Ibn Sina kein Halbgott war. Der Arzt aller Ärzte war einfach ein alternder Gelehrter, der zwischen der Medizin und dem Glauben steckte, in dem er fromm erzogen worden war. Rob liebte den alten Mann gerade auch wegen seiner menschlichen Beschränkungen, aber irgendwie hatte er das Gefühl, betrogen worden zu sein, wie ein kleiner Junge, der die Schwächen seines Vaters erkennt.
    In der Jehuddijeh war er in Gedanken versunken, während er sein braunes Pferd versorgte. Mary und das Kind schliefen im Hause, er zog sich vorsichtig und leise aus, lag dann wach und dachte nach, wodurch die Unterleibskrankheit verursacht werden könnte. Mitten in der Nacht schreckte Mary plötzlich auf. Sie lief hinaus, wo sie würgte und erbrach. Er folgte ihr. Weil er so viel an die Krankheit dachte, die ihren Vater hinweggerafft hatte, wußte er, daß das Erbrechen ein erstes Anzeichen war. Obwohl Mary abwehrte, untersuchte er sie, als sie ins Haus zurückkehrte, aber ihr Unterleib war weich, und sie hatte kein Fieber. Endlich kehrten sie ins Bett zurück.
    »Rob!« rief sie später. Und wieder: »Mein Rob!« Es war ein Schrei der Verzweiflung wie in einem Alptraum.
    »Still, sonst weckst du den Kleinen«, flüsterte er. Er war überrascht, denn er hatte nicht gewußt, daß sie Alpträume hatte. Er streichelte ihren Kopf und tröstete sie, und sie zog ihn

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