Medicus 01 - Der Medicus
antwortete nicht.
Sie machten ihre Betten und versuchten zu schlafen. Der Bader stand auf und trank, doch diesmal ließ er seinen Lehrling nicht seine Hände halten.
Rob wusste, dass er kein Hexer war. Doch es gab eine einzige andere Erklärung, und er verstand sie nicht. Er betete: Bitte, willst du diese scheußliche Gabe nicht von mir nehmen und sie dorthin zurückgeben, woher sie kam? Wütend und niedergeschlagen konnte er nicht anders als schimpfen, denn seine Sanftmut hatte ihm bisher nicht weitergeholfen. Es ist eine Fähigkeit, die vom Satan stammen könnte, und ich will sie nicht mehr haben, erklärte er seinem Gott.
Scheinbar wurde sein Gebet erhört. In diesem Frühjahr gab es keinen Zwischenfall mehr. Das gute Wetter hielt an, wurde sogar noch besser und brachte sonnige Tage, die wärmer und trockener als für gewöhnlich und vorteilhaft für das Geschäft waren. »Schönes Wetter am St.-Swithin-Tag«, triumphierte der Bader eines Morgens. »Jeder wird dir bestätigen, dass das weitere vierzig Tage Schönwetter bedeutet.« Allmählich legten sich ihre Befürchtungen, und ihre Laune besserte sich. Sein Meister erinnerte sich an seinen Geburtstag! Am dritten Morgen nach dem St.-Swithin-Tag machte ihm der Bader ein schönes Geschenk in Form von drei Gänsekielen, Tuschpulver und einem Bimsstein. »Jetzt kannst du die Gesichter mit etwas Geeigneterem kritzeln als mit einem Kohlestück«, meinte er.
Rob besaß kein Geld, um sich für des Baders Geburtstagsgeschenk zu revanchieren. Doch spät am Nachmittag erspähte er eines Tages, als sie durch ein Feld fuhren, bestimmte Pflanzen. Am nächsten Morgen stahl er sich weg und ging eine halbe Stunde zu dem Feld zurück, wo er eine ordentliche Menge der Pflanzen pflückte. An des Baders Geburtstag schenkte ihm Rob dann Portulak, das Fieberkraut, das er mit sichtlicher Freude entgegennahm.
An ihren Vorstellungen merkte man, dass sie sich vertrugen. Sie gingen aufeinander ein, und ihre Vorführungen erhielten Glanz und eine Präzision, die ihnen rauschenden Beifall eintrugen. Rob hatte Tagträume, in denen er seine Brüder und seine Schwestern unter den Zuschauern sah; er stellte sich den Stolz und das Staunen von Anne Mary und Samuel Edward vor, wenn sie sahen, wie ihr älterer Bruder Zauberkunststücke vorführte und mit fünf Bällen jonglierte.
Sie werden gewachsen sein, sagte er sich. Würde sich Anne Mary an ihn erinnern? War Samuel Edward noch immer so wild? Jonathan Carter konnte inzwischen bestimmt schon gehen und sprechen und war ein richtiger kleiner Mann.
Es war ihm als Lehrling unmöglich, seinem Meister zu sagen, wohin sie ihr Pferd lenken sollten, doch als sie sich in Nottingham aufhielten, hatte er Gelegenheit, sich des Baders Karte anzusehen, und dabei stellte er fest, dass sie sich fast im Herzen der englischen Insel befanden. Um London zu erreichen, mussten sie nach Süden weiterfahren, sich zugleich aber auch nach Osten wenden. Er prägte sich die Städtenamen und die Orte ein, damit er erkennen konnte, ob sie dorthin reisten, wohin er so verzweifelt gern fahren wollte.
In Leicester hatte ein Bauer, der einen Felsblock auf seinem Feld ausgraben wollte, einen Sarkophag freigelegt.
Er hatte den Steinsarg rundherum ausgeschaufelt, aber er war zu schwer, um ihn herauszuheben: Sein Boden wurde von der Erde festgehalten wie ein Felsblock. »Der Herzog schickt Männer und Zugpferde, um ihn loszubekommen, und wird ihn in seinem Schloss aufstellen«, berichtete ihnen der Bauer stolz.
In den groben, weißkörnigen Marmor war eine Inschrift eingemeißelt:
DIIS MANIBUS VIVII MARCIANI MILITIS LEGIONIS SECUNDAE AUGUSTAE IANUARIO MARINA CONJUNX PIISSIMA POSUIT MEMORIAM.
»>Den Manen<«, übersetzte der Bader. »>des Vivius Marcianus, eines Soldaten der Zweiten Legion des Augustus errichtete seine liebende Frau Marina im Januar ein Denkmal.<« Sie sahen einander an. »Ich möchte wissen, was aus der süßen Marina geworden ist, nachdem sie ihn begraben hat, denn sie war weit von zu Hause fort«, sagte der Bader nüchtern. Und Rob dachte: Das sind wir alle.
Leicester war eine große Stadt. Ihre Vorstellung war daher gut besucht, und als der Verkauf des Heilmittels beendet war, hatten sie alle Hände voll zu tun. In rascher Aufeinanderfolge half er dem Bader mit der Lanzette, den Karbunkel eines jungen Mannes zu öffnen, den gebrochenen Finger eines Jungen zu schienen, eine fiebernde Matrone mit Portulak und ein Kind, das an Kolik litt, mit Kamille zu
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