Medicus 01 - Der Medicus
Incitatus ritt, denn er wusste, dass Caligula verrückt gewesen war und ein schlimmes Ende genommen hatte. Er beschloss, Caesar Augustus zu sein, der die Prätorianergarde über die Via Appia nach Brundisium führte. Es fiel ihm nicht schwer, das Gehöft der Talbotts zu finden. Das Haus stand schief und sah schäbig aus, sein Dach war eingesunken, aber das Stallgebäude war groß und schön. Die Tür stand offen, und er hörte, wie drinnen jemand zwischen den Tieren herumging.
Er blieb unsicher auf seinem Pferd sitzen, aber Tatus wieherte, und es blieb ihm keine andere Wahl, als sich zu melden.
»Garwine?« rief er.
Ein Mann erschien in der Tür des Stalles und kam langsam auf ihn zu. Er hielt eine Holzgabel voll Mist in der Hand, der in der kalten Luft dampfte. Er ging sehr vorsichtig, und Rob merkte, dass er betrunken war. Das konnte nur Garwines Vater sein.
»Wer bist du?« fragte er.
Rob sagte es ihm.
Der Mann schwankte. »Du hast kein Glück, Rob Cole. Sie ist nicht hier. Sie ist durchgebrannt, diese dreckige kleine Hure. Verschwinde von meinem Hof!« Talbott weinte.
Rob ritt langsam nach Carlisle zurück. Er fragte sich, wohin sie wohl gegangen sein mochte, und ob sie durchkommen würde.
Nun war er nicht mehr Caesar Augustus, der die Prätorianergarde anführte: Er war nur ein in Zweifel und Angst verstrickter Junge.
Der Jude von Tettenhall
Sie konnten nichts anderes tun, als auf den Frühling zu warten. Ein neuer Vorrat des Universal-Spezificums war bereits gemischt und in Flaschen gefüllt. Alle Kräuter, die der Bader gesammelt hatte, waren getrocknet und pulverisiert oder in Alkohol eingelegt, nur Portulak zur Bekämpfung des Fiebers fehlte noch. Sie hatten genug jongliert und Magie geübt, und der Bader hatte genug vom Norden, aber auch vom Trinken und Schlafen. »Ich bin zu ungeduldig, um herumzutrödeln, bis der Winter zu Ende geht«, erklärte er eines Morgens im März, und sie verließen Carlisle vorzeitig, obwohl sie nur langsam nach Süden vorankamen, weil die Straßen noch in schlechtem Zustand waren.
In Beverley trafen sie auf den Frühling. Die Luft war lau, die Sonne tauchte auf, und mit ihr eine Schar Pilger, die die große Steinkirche der Stadt besucht hatten, die Johannes dem Evangelisten geweiht war. Rob und der Bader veranstalteten eine Vorstellung, und ihr erstes Publikum in der neuen Saison zeigte sich begeistert.
Während der Behandlungen ging alles gut, bis Rob die sechste Patientin hinter des Baders Wandschirm führte und die Hände der gutaussehenden Frau ergriff. Sein Puls hämmerte. »Kommt, Mistress«, sagte er schwach. Seine Haut kribbelte vor Angst an den Stellen, wo ihre Hände einander berührten. Er wandte sich um und begegnete dem Blick seines Meisters.
Der Bader wurde blass. Fast grob zog er Rob außer Hörweite unbefugter Lauscher. »Gibt es keine Zweifel? Du musst dir vollkommen sicher sein.«
»Sie wird bald sterben«, antwortete Rob.
Der Bader kehrte zu der Frau zurück, die nicht alt war und gesund aussah. Sie klagte auch nicht über irgendein Leiden, sondern war hinter den Wandschirm gekommen, um einen Liebestrank zu kaufen. »Mein Mann wird zusehends älter. Seine Leidenschaft lässt nach, doch er verehrt mich sehr.« Sie sprach ruhig, und ihre Vornehmheit und der Verzicht auf falsche Bescheidenheit verliehen ihr Würde. Sie trug Reisekleidung aus feinem Tuch und war sichtlich eine reiche Frau.
»Ich verkaufe keine Liebeselixiere. Das fällt in den Bereich der Magie und nicht der Medizin, Mylady.«
Sie murmelte etwas Bedauerndes. Der Bader erschrak, als sie seine Form der Anrede nicht richtig stellte. Beim Tod einer Adeligen der Hexerei angeklagt zu werden, bedeutete sicheres Verderben. »Ein Schluck Alkohol erzielt oft die erwünschte Wirkung, wenn er stark ist und heiß vor dem Schlafengehen getrunken wird.« Der Bader wollte keine Bezahlung annehmen. Sobald sie gegangen war, entschuldigte er sich bei den Kranken, die er noch nicht untersucht hatte. Rob packte bereits den Wagen. Und so flohen sie wieder.
Diesmal sprachen sie während der Flucht kaum ein Wort. Als sie weit genug entfernt waren und beruhigt das Nachtlager aufschlagen konnten, brach der Bader das Schweigen.
»Wenn jemand binnen eines Augenblicks stirbt, wird sein Blick leer«, flüsterte er. »Das Gesicht verliert den Ausdruck oder wird manchmal purpurrot. Ein Mundwinkel hängt herab, ein Augenlid erschlafft, die Glieder werden starr.« Er seufzte. »Der Tod ist barmherzig.« Rob
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