Medicus 02 - Der Schamane
und dem Nachbarzelt. Der Geruch im Camp erinnerte an den auf der War Hawk, und Rob J. kam zu dem Schluss, dass die gesamte Army nach Exkrementen stank. Es war ihm klar, dass er gegen die Verpflegung nichts tun konnte - jedenfalls nicht im Moment -, aber er war entschlossen, die hygienischen Bedingungen zu verbessern. Am nächsten Nachmittag ging er nach der Sprechstunde zu einem Sergeanten der C-Kompanie des ersten Bataillons, der gerade dabei war, ein halbes Dutzend Soldaten in der Handhabung des Bajonetts zu unterweisen. »Sergeant, wissen Sie, wo Schaufeln sind?«
»Schaufeln? Ja, das weiß ich schon«, antwortete der Mann vorsichtig. »Sehr gut. Ich möchte, dass Sie jedem dieser Männer eine geben. Sie sollen einen Graben ziehen.«
»Einen Graben, Sir?« Der Sergeant musterte die Gestalt in dem ausgebeulten Anzug und dem verknitterten Hemd neugierig. »Ja, einen Graben«, nickte Rob J. »Gleich da drüben. Drei Meter lang, einen Meter breit und einsachtzig tief.« Der Doktor war ein großer Mann. Er schien sehr entschlossen zu sein - und der Sergeant wusste, dass er theoretisch den Dienstgrad eines Stabsfeldwebels bekleidete. Kurze Zeit später gruben die sechs Männer eifrig, während Rob J. und der Sergeant ihnen zuschauten, bis Colonel Hilton und Captain Irvine von der C-Kompanie die Straße herunterkamen. »Was zum Teufel soll das?« fragte Colonel Hilton den Sergeanten, der den Mund öffnete und Rob J. ansah. »Sie graben eine Versitzgrube, Colonel«, erklärte Rob J. »Eine Versitzgrube?«
»Ja, Sir - eine Latrine.«
»Ich weiß, was eine Versitzgrube ist. Es wäre bedeutend sinnvoller, wenn die Männer ihre Zeit darauf verwenden würden, mit dem Bajonett zu üben. Sie werden sehr bald in der Schlacht stehen. Wir bringen ihnen bei, wie sie die Rebellen umbringen sollen. Dieses Regiment wird Konföderierte erschießen, mit Bajonetten aufspießen, erstechen und sie, wenn es nötig sein sollte, zu Tode scheißen und pissen - aber keine Latrinen graben!«
Einer der Schaufelnden brach in schallendes Gelächter aus. Der Sergeant musterte Rob J. grinsend. »Ist das klar, Herr Assistenzarzt?«
Rob J. lächelte nicht. »Ja, Colonel.«
Das war an seinem vierten Tag beim 106. Kansas-Regiment. Diesem folgten sechsundachtzig weitere Tage, die sehr langsam vergingen und genau gezählt wurden.
Brief eines Sohnes
Cincinnati, Ohio
12. Januar 1863
Lieber Pa,
ich habe mir »Rob J.’s Messer« verdient! Colonel Peter Brandon, der Stellvertreter von Chefarzt William A. Hammond, fungierte als Festredner. Viele meinten, es sei eine gute Rede gewesen, aber ich war enttäuscht. Dr. Brandon führte aus, dass im Laufe der Geschichte Ärzte sich stets den medizinischen Bedürfnissen ihrer Armeen gewidmet hätten. Er gab eine Menge Beispiele wie die Hebräer der Bibel, die Griechen, die Römer etc. etc. Dann erläuterte er uns die vielen großartigen Möglichkeiten, die sich Medizinern in diesem Krieg bieten, den Sold und die Vergünstigungen, die diejenigen erwarten, die sich in den Dienst ihres Landes stellen. Wir lechzten danach, etwas über die Großen unseres Berufsstandes zu hören - Plato und Galen, Hippokrates und Andreas Vesalius -, er aber hielt eine Rekrutierungsansprache. Es war nicht nur unpassend, sondern auch überflüssig. Siebzehn aus meiner Gruppe von sechsunddreißig frischgebackenen Ärzten hatten schon vorher ihre medizinische Laufbahn bei der Army in die Wege geleitet. Ich weiß, Du wirst es verstehen, wenn ich Dir schreibe, dass ich, obwohl ich Ma natürlich sehr gerne wiedergesehen hätte, erleichtert war, als sie sich gegen eine Reise nach Cincinnati entschied. Die Züge, Hotels und so weiter sind heutzutage so überfüllt und schmutzig, dass eine alleinreisende Frau mit Unbequemlichkeiten rechnen muss, wenn nicht mit Schlimmerem. Es tat mir sehr leid, dass Du nicht hier warst — und damit habe ich einen weiteren Grund, diesen Krieg zu hassen. Paul Cookes Vater, der in Xenia eine Futtermittel- und Getreidehandlung besitzt, kam zu der Feier und führte uns beide anschließend groß zum Essen aus, wobei er uns hochleben ließ und nicht mit Komplimenten sparte. Paul ist einer von denen, die direkt zur Army gehen. Obwohl er so ein Spaßvogel ist und immer Unfug im Kopf hat, war er der Hellste unseres Jahrgangs und schaffte sein Examen mit summa cum laude. Ich half ihm bei der Laborarbeit, und er half mir, mit magna cum laude abzuschließen, denn nach jeder Vorlesung drangsalierte er mich mit Fragen,
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