Medicus 02 - Der Schamane
salutierten.
Es war das erstemal, dass Rob J. diesem feierlichen Akt beiwohnte, und er empfand ihn als bewegend, denn er spürte, dass er so etwas wie eine religiöse Gemeinschaft zwischen diesen Männern schuf, die regungslos im Salut verharrten, bis der letzte bebende Ton der Melodie verklungen war. Gleich darauf herrschte wieder rege Geschäftigkeit im Camp.
Die meisten Unterkünfte waren kleine Zweimannzelte, doch der Sergeant steuerte auf eine Gruppe kegelförmiger Zelte zu, die Rob J. an Tipis erinnerten, und blieb vor einem stehen. »Da sind wir, Sir.«
»Ich danke Ihnen.«
Im Innern gab es nur zwei Schlafplätze, die aus auf der Erde ausgebreiteten Decken bestanden. Ein Mann, zweifellos der Regimentsarzt, lag im Tiefschlaf. Sein Körper verströmte einen säuerlichen Geruch, und sein Atem roch stark nach Rum. Rob J. stellte seine Tasche auf den Boden und setzte sich daneben. Ich habe viele Fehler gemacht und mehr Dummheiten als die einen und weniger als die anderen, dachte er, und jetzt konnte er nicht umhin, sich zu fragen, ob er nicht im Begriff stand, eine der größten Dummheiten seines Lebens zu begehen.
Der Regimentsarzt hatte den Rang eines Majors und hieß G. H. Woffenden. Rob J. erfuhr sehr bald, dass der Mann nie ein Medizinstudium absolviert, jedoch eine Weile »beim alten Doc Cowan gelernt« und sich dann selbständig gemacht hatte, dass er von Colonel Hilton in Topeka rekrutiert worden war, das Majorsgehalt sein bisher bestes regelmäßiges Einkommen darstellte - und dass er sich hauptsächlich auf das Trinken konzentrierte und seinem Assistenten die tägliche Sprechstunde überließ.
Diese nahm freilich fast den ganzen Tag in Anspruch, denn die Schlange der Patienten schien niemals zu enden. Das Regiment bestand aus zwei Bataillonen - das erste fünf Kompanien stark, das zweite nur drei - und war vor knapp vier Monaten gebildet worden, als die gesündesten Männer bereits anderweitig in Kriegsdienst standen. Für das 106. Regiment hatte man zusammengesammelt, was übrig war, und für das zweite Bataillon den »Ausschuss« aus Kansas genommen. Viele der Männer, die darauf warteten, von Rob J. behandelt zu werden, waren eigentlich schon zu alt, um Soldaten zu sein, und viele waren noch zu jung wie ein halbes Dutzend Burschen, die kaum über zehn Jahre alt waren. Alle befanden sich in außerordentlich schlechter Verfassung. Die häufigsten Beschwerden gingen auf Diarrhöe und Ruhr zurück, aber Rob J. traf auch auf die verschiedensten Arten von Fieber, auf schwere Erkältungen, die Bronchien und Lunge in Mitleidenschaft zogen, auf Syphilis und Tripper, Delirium tremens und andere Auswirkungen von Alkoholismus, auf Leistenbrüche und viele Fälle von Skorbut. Es gab ein Behandlungszelt, in dem sich ein geräumiger Armeetragkorb und ein großer Schrank aus Rohrgeflecht und Segeltuch befanden, wo das medizinische Zubehör aufbewahrt wurde. Nach der Inventurliste hätte dieses auch schwarzen Tee enthalten sollen, weißen Zucker, Kaffee-Extrakt, Rinderbrühekonzentrat, Kondensmilch und medizinischen Alkohol. Als Rob J. Woffenden nach diesen Dingen fragte, sah der Arzt ihn beleidigt an. »Wahrscheinlich gestohlen«, erklärte er knapp in auffällig defensivem Ton. Schon nach den ersten Mahlzeiten begriff Rob J., weshalb so viele der Männer Leibschmerzen hatten. Er suchte den Verpflegungsoffizier auf, einen hageren Second Lieutenant namens Zearing, und erfuhr von ihm, dass die Army dem Regiment nur achtzehn Cent pro Mann und Tag für Essen bewilligte. Das Resultat war eine tägliche Ration von dreihundert Gramm fettem, gesalzenem Schweinefleisch, sechzig Gramm weißen Bohnen oder Erbsen und entweder fünfhundert Gramm Mehl oder dreihundert Gramm Schiffszwieback. Das Fleisch war für gewöhnlich außen schwarz und innen faulig-gelb, und die Soldaten nannten den Zwieback »Wurmparadies«, denn die großen dicken Kekse, die oft von Feuchtigkeit aufgequollen waren, boten Maden und Würmern ein wahres Dorado. Jeder erhielt seine Ration roh und bereitete sie sich selbst über einem kleinen Lagerfeuer zu, wobei er die Bohnen kochte und das Fleisch, den zerkrümelten Zwieback, ja sogar das Mehl in Schweinefett briet. In Verbindung mit dem schlechten Gesundheitszustand verursachte diese Art von Diät in Tausenden von Bäuchen einen Tumult, und es gab keine Latrinen. Die Männer erleichterten sich meist hinter ihren Zelten, und viele, die an Durchfall litten, schafften es nur bis zu dem Raum zwischen ihrem
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