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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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als hätten sie alle Zeit der Welt füreinander.
    Doch um elf waren sie bereits wieder im Operationssaal. Der Ansturm der Verwundeten von der War Hawk überforderte sowohl die Unterbringungsmöglichkeiten des Krankenhauses als auch den Chirurgenstab. Manche Ärzte hatten die ganze Nacht bis in den Vormittag hinein durchgearbeitet, und jetzt operierte Robert Jefferson Cole einen jungen Mann aus Ohio, dessen Schädel, Schultern, Rücken, Hintern und Beine einen wahren Hagel von Konföderiertenschrapnellen abbekommen hatten. Die Prozedur war zeitaufwendig und mühevoll, denn jedes Metallstückchen musste mit einem Minimum an Zerstörung des umliegenden Gewebes aus dem Fleisch herausgepult werden, und das Nähen war ebenfalls eine Präzisionsarbeit, denn es galt zu erreichen, dass die Muskeln wieder zusammenwachsen konnten. Die Tribüne war mit Medizinstudenten und mehreren Fakultätsmitgliedern besetzt, die die Arbeit an solch schrecklichen kriegsbedingten Fällen verfolgten. In der ersten Reihe versetzte Dr. Harold Meigs seinem Nachbarn Dr. Barnett McGowan einen Rippenstoß und wies mit seinem Kinn auf einen Mann, der - weit genug entfernt, um nicht im Weg zu stehen, aber nahe genug, um alles sehen zu können - im Operationssaal stand. Groß, füllig, mit ergrauendem Haar, stand er mit verschränkten Armen da und konzentrierte sich ausschließlich auf die Vorgänge auf dem Operationstisch. Als er das selbstsichere und routinierte Vorgehen der jungen Chirurgen sah, nickte er unbewusst beifällig, und die beiden Professoren sahen einander an und lächelten.
    Rob J. fuhr mit dem Zug zurück und kam neun Tage nach seiner Abreise von Holden’s Crossing in Rock Island an. Auf der Straße hinter dem Bahnhof traf er Paul und Roberta Williams, die in den Ort gekommen waren, um Einkäufe zu machen.
    »Hallo, Doc! Gerade angekommen?« fragte Williams. »Hab’ gehört, Sie waren weg. Auf Urlaub?« »Ja.« Rob J. nickte.
    »War’s schön?«
    Rob J. öffnete den Mund - und schloss ihn wieder. Dann sagte er: »Ja, sehr schön. Danke der Nachfrage, Paul!« Er verabschiedete sich und ging zum Mietstall, um Boss zu holen und nach Hause zu reiten.

Der Vertragsarzt
    Rob J. brauchte fast den ganzen Sommer, um sein Vorhaben vorzubereiten. Sein erster Gedanke war gewesen, es für einen anderen Arzt finanziell attraktiv zu machen, seine Praxis in Holden’s Crossing zu übernehmen. Doch nach einiger Zeit musste er sich eingestehen, dass das unmöglich war, denn der Krieg hatte zu einem akuten Ärztemangel geführt. So blieb ihm nur, Tobias Barr zu bitten, jeden Mittwoch und bei Notfällen nach Holden’s Crossing zu kommen. Bei leichteren Erkrankungen würden die Leute von Holden’s Crossing zu Dr. Barr nach Rock Island fahren oder die Nonnen konsultieren müssen. Sarah tobte - weil Rob J. sich der »falschen Seite« anschloss und weil er überhaupt wegging. Sie betete und beriet sich mit Sydney Blackmer. Sie sei ohne ihn völlig hilflos, jammerte sie. »Bevor du gehst, musst du an die Unionsarmee schreiben«, drängte sie, »und anfragen, ob sie irgendwelche Unterlagen haben, dass Alex ihr Gefangener ist, oder ob er als gefallen gilt.« Rob J. hatte das schon Monate zuvor getan, doch er stimmte ihr zu, dass es an der Zeit sei, nochmals nachzufragen, und kümmerte sich darum.
    Sarah und Lillian standen einander näher als je. Jay hatte ein erfolgreiches System ausgeklügelt, Post und Konföderiertennachrichten durch die feindlichen Linien nach Hause zu lotsen - wahrscheinlich mit Hilfe von Flussschmugglern. Bevor die Zeitungen von Illinois die Meldung druckten, konnte Lillian bereits berichten, dass Judah Benjamin vom konföderierten Kriegsminister zum konföderierten Außenminister befördert worden sei. Einmal hatten Sarah und Rob J. mit den Geigers und Benjamin zu Abend gegessen, als Lillians Cousin nach Rock Island gekommen war, um mit Hume über einen Eisenbahnprozess zu sprechen. Benjamin hatte einen intelligenten und bescheidenen Eindruck gemacht, nicht den eines Mannes, der danach strebte, eine neue Nation anzuführen.
    Jay sei in Sicherheit, erzählte Lillian. Er habe den Dienstgrad eines Stabsfeldwebels und sei irgendwo in Virginia als Aufseher oder Verwalter eines Lazaretts stationiert.
    Als sie hörte, dass Rob J. sich der Nordstaatenarmee anschließen würde, sah sie ihn besorgt an. »Ich hoffe nur, dass du und Jay nicht aufeinandertrefft, solange dieser Krieg dauert.«
    »Das ist höchst unwahrscheinlich«, antwortete er

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