Medicus 02 - Der Schamane
Enttäuschung. Es war ein kleines Krankenhaus wie das für Holden’s Crossing geplante, aber schmuddelig und schlecht geführt: eine Lektion, wie man es nicht machen durfte. Shaman verließ das Inman Hospital sehr schnell wieder und gab dem Kapitän eines Flachbootes Geld, damit er ihn und Boss Flussabwärts nach Rock Island brachte.
Auf dem Ritt nach Holden’s Crossing begann ein kalter Regen zu fallen, doch die Gedanken an Rachel und ihre gemeinsame Zukunft hielten Shaman warm.
Als er endlich zu Hause angekommen war und sein Pferd versorgt hatte, ging er in die Küche, wo seine Mutter aufrecht und kerzengerade auf ihrem Stuhl saß; offensichtlich hatte sie ungeduldig auf seine Rückkehr gewartet. Sobald er eintrat, sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus: »Dein Bruder lebt. Er ist in Kriegsgefangenschaft«, sagte sie.
Ein Telegramm
Am Tag zuvor hatte Lillian Geiger von ihrem Mann einen Brief erhalten. Jason schrieb, dass er den Namen eines Corporal Alexander Bledsoe auf einer Liste konföderierter Kriegsgefangener gesehen habe. Er sei am 11.November 1862 in Perryville, Kentucky, von den Truppen der Union gefangengenommen worden. »Deshalb hat man in Washington nicht geantwortet, als wir anfragten, ob sie einen Gefangenen namens Alexander Cole hätten«, sagte Sarah. »Er hat den Namen meines ersten Mannes benutzt.« Shaman freute sich sehr. »Wenigstens können wir hoffen, dass er noch am Leben ist! Ich werde gleich schreiben und versuchen herauszufinden, wo sie ihn gefangenhalten.«
»Das würde Monate dauern. Wenn er noch am Leben ist, dann ist er schon fast drei Jahre lang Gefangener. Jason schreibt, dass die Gefangenenlager auf beiden Seiten der Front entsetzlich sind. Er meint, wir sollten versuchen, Alex so schnell wie möglich zu holen.«
»Dann fahre ich selber nach Washington.«
Aber seine Mutter schüttelte den Kopf. »Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Nick Holden nach Rock Island und Holden’s Crossing kommt, um für Lincolns Wiederwahl zu werben. Du gehst zu ihm und bittest ihn, uns bei der Suche nach deinem Bruder zu helfen.« Shaman war verwundert. »Warum sollten wir uns an Nick Holden wenden statt an unseren Kongressabgeordneten oder Senator? Pa hat Holden verachtet, weil er an der Vernichtung der Sauks beteiligt war.«
»Nick Holden ist wahrscheinlich Alex’ Vater«, erwiderte sie ruhig.
Einige Augenblicke lang brachte Shaman vor Überraschung kein Wort heraus. »Ich habe immer geglaubt... das heißt, Alex glaubt, dass sein leiblicher Vater ein Mann namens Will Mosby ist.« Seine Mutter sah ihn an. Sie war sehr blass, doch ihre Augen waren trocken. »Ich war siebzehn Jahre alt, als mein erster Mann starb. Ich war ganz allein in einer Hütte mitten in der Prärie, auf dem Land, das jetzt zur Schroeder-Farm gehört. Ich habe versucht, den Besitz alleine zu bewirtschaften, aber ich hatte einfach nicht die Kraft dazu. Das Land hat mich kaputtgemacht. Ich hatte kein Geld. Eine Anstellung bekam ich nirgends, es gab ja damals noch kaum Leute in der Gegend. Will Mosby ist als erster zu mir gekommen. Er war ein Gauner und immer lange Zeit verschwunden, aber wenn er kam, hatte er immer eine Menge Geld. Und dann ist Nick aufgekreuzt. Sie waren beide attraktive, charmante Männer. Am Anfang habe ich geglaubt, dass keiner vom anderen etwas weiß, aber als ich dann schwanger wurde, hat sich gezeigt, dass beide Bescheid wussten, und jeder hat behauptet, der andere sei der Vater.«
Shaman hatte Mühe, etwas zu erwidern. »Haben sie dir denn überhaupt nicht geholfen?«
Sie lächelte dünn. »Gemerkt habe ich auf jeden Fall nichts davon. Ich glaube, Will Mosby hat mich geliebt, und er hätte mich wahrscheinlich irgendwann einmal auch geheiratet, aber er hat ein gefährliches, riskantes Leben geführt und ist genau damals getötet worden. Nick ließ sich nicht mehr sehen, obwohl ich mir schon damals ziemlich sicher war, dass er Alex’ Vater ist. Alma und Gus waren inzwischen hier und hatten mein Land übernommen, und ich glaube, er hat gewusst, dass die Schroeders mich durchfüttern würden.« Sarah schien nachzudenken. »Bei der Niederkunft war Alma dabei, aber in einem Ernstfall dreht die Arme ja immer durch, und ich musste ihr fast bei jedem Handgriff sagen, was sie tun solle. Nach Alex’ Geburt hatte ich ein paar sehr schlimme Jahre. Zuerst machten die Nerven nicht mehr mit, dann der Magen, und das führte zu den Blasensteinen.« Sie schüttelte den Kopf. »Dein Vater hat mir das Leben
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