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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Gefangenenlager in Maryland hierhergebracht. Ja, und in Pennsylvania kam es zu einem schrecklichen Zugunglück... in Sholola. Achtundvierzig Kumpel und siebzehn Wachen wurden getötet. Man hat sie einfach auf einem Feld neben den Schienen begraben wie nach einer Schlacht. Fünfundachtzig von uns waren verletzt. Alex’ Fuß war so zerquetscht, dass sie ihn abschneiden mussten. Ich hatte Glück, hatte mir nur die Schulter ausgerenkt.«
    »Eine Zeitlang hat sich Ihr Bruder recht gut gehalten«, sagte Berry Womack. »Jimmie-Joe hat ihm Krücken gemacht, und er war recht geschickt mit ihnen. Er hat in unserem Zelt den Krankenpfleger gespielt und sich gut um uns alle gekümmert. Hätt’ Ihrem Vater ein bisschen was abgeschaut, hat er gesagt.«
    »Wir nennen ihn deshalb Doc«, ergänzte Jimmie-Joe Waldron. Als Shaman Alex’ Bein anhob, sah er, dass hier die Ursache seiner Probleme steckte. Die Amputation war schlecht ausgeführt. Das Bein war zwar noch nicht brandig, aber die eine Hälfte des ausgefransten Stumpfes war nicht verheilt, und unter dem Narbengewebe des verheilten Teils hatte sich Eiter gesammelt.
    »Sind Sie wirklich ein Doktor?« fragte Waldron, als er das Stethoskop sah. Shaman drückte Alex die Schallmuschel auf die Brust und war froh, aus den Angaben der Männer schließen zu können, dass die Lunge frei war. Aber Alex hatte Fieber, sein Puls war schwach und fadenförmig.
    »Hier im Lager gibt’s alle möglichen Seuchen, Sir«, sagte Buttons. »Pocken, verschiedene Fieber, Malaria und Schüttelfrost. Was glauben Sie, was ihm fehlt?«
    »Sein Bein stirbt ab«, erwiderte Shaman seufzend. Es war offensichtlich, dass Alex darüber hinaus an Unterernährung und Unterkühlung litt wie die anderen Männer im Zelt auch. Sie erzählten Shaman, dass einige Zelte Blechöfen und Decken hätten, doch in den meisten gab es keins von beidem. »Was essen Sie?« »Am Morgen bekommt jeder ein Stück Brot und ein kleines Stück schlechtes Fleisch«, sagte Buttons Westmoreland. »Am Abend bekommt jeder ein Stück Brot und eine Tasse mit einer Brühe, die sie Suppe nennen - das Wasser, in dem das schlechte Fleisch gekocht wurde.«
    »Kein Gemüse?«
    Alle drei schüttelten den Kopf, doch er kannte die Antwort bereits. Schon beim Betreten des Lagers hatte er überall die Anzeichen von Skorbut bemerkt.
    »Als wir hier ankamen, waren wir zehntausend«, sagte Buttons. »Es kommen zwar immer neue Gefangene dazu, aber von den ersten zehntausend sind nur noch fünftausend übrig. Die Leichenhalle ist immer überfüllt, und gleich hinter dem Lager ist ein riesiger Friedhof. Jeden Tag sterben an die fünfundzwanzig Männer.« Shaman setzte sich auf den kalten Boden, hielt Alex’ Hände und betrachtete sein Gesicht. Alex schlief weiter, einen ungesunden tiefen Schlaf.
    Augenblicke später streckte die Wache den Kopf durch die Zeltluke und sagte, die Besuchszeit sei vorüber. In der Schreibstube hörte der Sergeant teilnahmslos zu, als Shaman sich als Arzt auswies und ihm die Symptome seines Bruders schilderte. »Ich hätte gern die Erlaubnis, ihn mit nach Hause zu nehmen. Wenn er hier bleiben muss, stirbt er.«
    Der Sergeant stöberte in einem Karteikasten, zog eine Karte heraus und las sie. »Ihr Bruder hat keinen Anspruch auf Strafaussetzung. Er hat hier den >Ingenieur< gespielt. So nennen wir einen Gefangenen, der versucht, einen Tunnel aus dem Lager zu graben.«
    »Einen Tunnel!« rief Shaman verwundert. »Wie konnte er denn graben? Er hat doch nur noch einen Fuß.« »Er hatte zwei Hände. Und bevor er hierherkam, ist er schon aus einem anderen Lager ausgebrochen, ehe er wieder eingefangen wurde.«
    Shaman versuchte es mit einem Appell an den gesunden Menschenverstand. »Hätten Sie das nicht auch versucht? Würde das nicht jeder vernünftige Mensch versuchen?«
    Doch der Sergeant schüttelte nur den Kopf. »Wir haben unsere Vorschriften.«
    »Darf ich ihm ein paar Sachen bringen?«
    »Keine scharfen Gegenstände und nichts aus Metall.«
    »Gibt es hier in der Nähe eine Pension?«
    »Es gibt so ein Haus, acht Meilen westlich vom Haupttor, die vermieten Zimmer«, erwiderte der Sergeant. Shaman dankte ihm und nahm sein Gepäck.
    Sobald Shaman in seinem gemieteten Zimmer alleine war, nahm er einhundertfünfzig Dollar aus dem Geldgurt und steckte die Scheine in seine Rocktasche. Der Hausknecht war sofort bereit, den neuen Gast gegen ein Entgelt in die Stadt zu fahren. Im Telegraphenamt schickte Shaman eine Nachricht an Nick Holden

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