Medicus 02 - Der Schamane
gewickelt, lag er auf dem Boden, während Holden in seinem Bett schnarchte.
Doch das war nichts für jemanden, der den Winter in einer Schlafbaracke mit neunzehn furzenden, hustenden Holzfällern verbracht hatte. Am nächsten Morgen machte Holden das Frühstück, überließ aber Rob den Abwasch, weil er, wie er sagte, noch etwas zu erledigen habe. Er versprach, bald zurück zu sein. Es war ein klarer, frischer Tag. Die Sonne brannte bereits heiß, und Rob packte seine Gambe aus und setzte sich auf einen schattigen Felsen zwischen der Hütte und dem Waldrand. Er breitete die Notenblätter mit der Mazurka von Chopin, die Jay Geiger für ihn abgeschrieben hatte, vor sich aus und begann, gewissenhaft zu üben. Etwa eine halbe Stunde arbeitete er am Thema und der Ausführung, bis es anfing, nach Musik zu klingen. Als er den Kopf hob und zum Wald hinübersah, entdeckte er zwei Indianer auf ihren Pferden, die ihn vom Rand der Lichtung aus beobachteten.
Er erschrak, denn ihr Aussehen festigte sein Vertrauen in James Fenimore Cooper aufs neue: Männer mit eingefallenen Wangen und nacktem Oberkörper, der hart und drahtig wirkte und vor Öl oder ähnlichem glänzte. Der eine trug eine Wildlederhose und hatte eine riesige Hakennase. Auf seinem rasierten Schädel prangte ein grellbunter Kopfschmuck aus dicken, steifen Tierhaaren. Er trug eine Flinte. Sein Begleiter war ein kräftiger Mann, etwa so groß wie Rob J., aber massiger. Seine langen, schwarzen Haare wurden von einem ledernen Stirnband zusammengehalten, bekleidet war er mit einem Lendenschurz und hohen ledernen Gamaschen. Er hatte einen Bogen in der Hand, und am Hals seines Pferdes hing ein Köcher voller Pfeile, so dass er aussah wie die Indianer auf den Zeichnungen, die Rob J. in den Büchern des Bostoner Athenaeums gesehen hatte. Er wusste nicht, ob sich hinter den beiden im Wald noch andere versteckten. Wenn sie feindselig waren, war er verloren, denn eine Gambe ist nur eine armselige Waffe. Er beschloss, einfach weiterzuspielen. Er legte den Bogen wieder an die Saiten und begann, aber nicht mit Chopin, denn er wollte sie nicht aus den Augen lassen und auf die Notenblätter sehen. Ohne lange nachzudenken, spielte er ein Stück aus dem siebzehnten Jahrhundert, das er gut kannte: »Cara la vita mia« von Oratio Bassani. Er spielte es ganz durch und dann noch einmal zur Hälfte. Schließlich hörte er auf, er konnte ja nicht für alle Zeiten dasitzen und auf der Gambe spielen. Da hörte er hinter sich ein Geräusch. Er drehte sich schnell um und sah gerade noch ein rotes Eichhörnchen davonhuschen. Als er wieder nach vorne schaute, war er einerseits erleichtert, aber auch ein bisschen enttäuscht, denn die Indianer waren verschwunden. Eine Weile hörte er noch ihre Pferde im Unterholz, dann war das Rascheln der Blätter im Wind das einzige Geräusch.
Nick Holden versuchte, sich seine Beunruhigung nicht anmerken zu lassen, als er zurückkehrte und erfuhr, was passiert war. Er inspizierte seinen Besitz, erklärte aber, dass offensichtlich nichts fehle. »Die Indianer, die früher hier in der Gegend gelebt haben, waren die Sauks. Vor neun bis zehn Jahren wurden sie nach einem Kriegszug, der als Krieg des Schwarzen Falken in die Geschichte einging, über den Mississippi nach Iowa vertrieben. Und vor ein paar Jahren wurden alle überlebenden Sauks in ein Reservat in Kansas gebracht. Letzten Monat haben wir erfahren, dass ungefähr vierzig Krieger mit ihren Frauen und Kindern aus dem Reservat verduftet sind. Angeblich in Richtung Illinois. Ich glaube nicht, dass sie so blöd sind, uns hier Schwierigkeiten zu machen, die paar Mann, die sie sind. Wahrscheinlich hoffen sie einfach, dass wir sie in Ruhe lassen.«
Rob nickte. »Wenn sie mir Schwierigkeiten hätten machen wollen, hätten sie das problemlos tun können.« Nick versuchte, das Thema zu wechseln, denn er fürchtete, Holden’s Crossing könnte in einem schlechten Licht erscheinen. Er habe sich an diesem Vormittag vier Parzellen Land angesehen, sagte er, die er Rob zeigen wolle, und auf sein Drängen hin sattelte Rob seine Stute. Das Land war Regierungseigentum. Auf dem Weg erklärte Nick, es sei von Landvermessern der Bundesregierung in Parzellen zu je hundert Morgen aufgeteilt worden. Privatgrund wurde zu mindestens sechs Dollar je Morgen verkauft, Regierungsland aber kostete nur einen Dollar, eine Hundert-Morgen-Parzelle also einhundert Dollar. Der zwanzigste Teil des Kaufpreises musste sofort hinterlegt werden,
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