Medicus 02 - Der Schamane
von sich weg, als könne es sich in eine Schlange verwandeln, die plötzlich hochschnellte, um ihn zu beißen. Er ging zwischen den Bäumen hindurch, vorbei an Makwas Grab und dem Platz, wo einst ihr hedonosote gestanden hatte. Am Ufer des Flusses holte er weit aus.
Das Stechmesser drehte und drehte sich, es segelte durch die Frühlingsluft und funkelte in der hellen Sonne wie ein Schwert. Aber es war nicht Excalibur. Kein von Gott gesandter Arm stieß aus der Tiefe hervor, um es aufzufangen und drohend zu schwingen. Statt dessen verschwand es, fast ohne Wellen zu machen, an der tiefsten Stelle des Flusses im Wasser. Shaman wusste, dass der Fluss es nie wieder hergeben würde, und eine Last, die er seit vielen Jahren trug - so lange schon, dass er sich ihrer gar nicht mehr bewusst war -, hob sich wie ein Vogel von seinen Schultern.
Neuland erschließen
Ende April war der Schnee wieder verschwunden, sogar in den verborgenen, schattigen Winkeln tief im Wald. Die Spitzen der Pfirsichbäumchen waren erfroren, doch schon regte sich neues Leben unter dem schwärzlichen Gewebe und trieb grüne Knospen ans Licht. Am 13. Mai, einem milden Frühlingstag, wurden auf der Cole-Farm die Bauarbeiten mit dem ersten Spatenstich offiziell begonnen. Kurz nach Mittag stieg Seine Exzellenz James Duggan, der Bischof der Diözese Chicago, begleitet von drei Monsignores, in Rock Island aus dem Zug. Sie wurden von Mater Miriam Ferocia und zwei Mietkutschen empfangen, die die Gesellschaft auf die Farm brachten. Dort wartete bereits eine größere Versammlung auf sie, darunter fast alle Ärzte der Gegend, die Schwestern des Konvents und der Priester, der ihnen als Beichtvater diente, die Stadtväter, ausgewählte Politiker wie Nick Holden und der Kongressabgeordnete John Kurland sowie eine Reihe von weiteren Bürgern. Mater Miriams Stimme klang fest und sicher, als sie die geistlichen Würdenträger begrüßte, doch ihr deutscher Akzent war deutlicher zu hören als gewöhnlich, was nur passierte, wenn sie nervös war. Sie stellte der Gemeinde die Prälaten vor und bat Bischof Duggan, das Bittgebet zu sprechen.
Dann machte sie Shaman mit den Gästen bekannt, der sie zu einer Besichtigungstour über das Gelände führte. Der Bischof, ein stattlicher Mann mit gerötetem Gesicht und einer dichten, grauen Mähne, war offensichtlich sehr angetan von dem, was er sah. Als sie den Bauplatz erreichten, sprach Kurland kurz über die Bedeutung, die dieses Krankenhaus für seinen Wahlbezirk haben werde. Bischof Duggan ließ sich von Mater Miriam eine Schaufel reichen und schritt zum ersten Spatenstich, als hätte er das schon öfter getan. Dann nahm die Oberin die Schaufel, nach ihr Shaman und jeder Politiker, und schließlich schlossen sich noch einige Leute der Zeremonie an, die eines Tages mit Stolz ihren Kindern erzählen wollten, dass auch sie für das Krankenhaus des hl. Franziskus den Spaten in die Hand genommen hätten.
Anschließend begaben sich alle zu einem Empfang in den Konvent. Auch hier stand eine ausgedehnte Besichtigungstour am Anfang: durch den Garten, zu den Schaf- und Ziegenherden auf der Wiese, in den Stall und schließlich in das Klostergebäude selbst. Miriam Ferocia musste sich auf einem schmalen Grat bewegen, denn einerseits wollte sie natürlich den Bischof mit angemessener Gastfreundschaft ehren, andererseits wusste sie jedoch, dass sie nicht als Verschwenderin erscheinen durfte. Sie löste das Problem bewundernswert, indem sie aus klostereigenen Erzeugnissen kleine Käsestangen hatte backen lassen, die warm zu Kaffee und Tee serviert wurden. Alles schien sehr gut zu laufen, doch Shaman hatte den Eindruck, dass Miriam Ferocia immer nervöser und besorgter wurde. Er bemerkte, dass sie Nick Holden nachdenklich ansah, der in dem gepolsterten Ledersessel neben dem Tisch der Oberin saß.
Als Holden aufstand und wegging, schien sie gespannt auf etwas zu warten, denn sie sah wiederholt zu Bischof Duggan hinüber. Shaman hatte sich bereits auf der Farm mit dem Bischof unterhalten, und ging jetzt zu ihm, um mit ihm zu sprechen, sobald sich die Gelegenheit ergab.
»Exzellenz«, sagte er, »sehen Sie, hier hinter mir, diesen großen Ledersessel mit den geschnitzten Armlehnen?« Der Bischof schien verwirrt. »Ich sehe ihn, ja.«
»Exzellenz, diesen Stuhl haben die Nonnen in einem Wagen über die Prärie bis hierher gebracht. Sie nennen ihn den Bischofssessel. Sie träumten immer davon, dass ihr geistiger Hirte sie eines Tages
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